klischeeanstalt.net ist eine online-Literaturzeitschrift, die AutorInnen auf Einladung einen Monat lang die homepage als Veröffentlichungsraum zur Verfügung stellt. Speziell dem knappen, verdichteten Format - egal ob Lyrik oder Prosa - soll hier Platz eingeräumt werden.
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Mo
30
Apr
2018
Giardini del Principe
Im Wartezimmer: Morpheus & Tränen
Ganz neben dem Üblichen
Da ist eine Tür, die zum Balkon führt,
& eine Glasscheibe, die ich nur erahnen kann,
Mal weiß man, mal weiß man nichts,
Doch zwei Seiten, Dualismen, die gibt es nicht, das muss überholt sein,
(Bei Medaillen
& anderen Gegenständen, ja)
Volle Säcke im Wartezimmer
& eine Atmung, verflacht,
(Doch dies ist kein Symptomgedicht, sonst würde es ins Leere führen)
Ich bin doch nur hier,
Hier mit meinen Säcken, gefüllt
Mit Abhängigkeiten
& wie gesagt, mit einer handvoll Tränen
Wie oft ich schon gestorben wäre, ohne die Anderen & wegen »der Leute«
Das weiß nicht mal der Arzt, der fragt nur,
Ob jemand denn an Selbstmord denkt
& was werd' ich sagen, wenn er mich das wieder fragt,
Herr X, ja, vielleicht werde ich nach Lazio gehen,
Nach Palestrina, an irgendeinem dritten Juli, ja,
an welchem, das wird niemand sagen können,
& ich, ich werde mich hüten, sowieso,
Dritter Juli Neunundneunzig, weil
»when two worlds collide, when two worlds collide, no one survives, no one survives & (…)«
Weil das Erste, so sagte meine Mutter mir,
Das Erste was ich tat, war ihr auf den Bauch zu scheißen, das soll ein Beweis sein,
Der Erste für eine Anpassungsstörung, eine sogenannte,
(Ja, es ist so, manche von uns stammen aus Arbeiterfamilien,
& ich weiß, dass es nicht viele sind)
Eine lange Zeit bin ich zur Schule gegangen
& ein paar Jahre zur Universität,
Um durch ein Großraumbüro hindurch verfolgt zu werden
Von Schatten, ich spüre sie in meinem Rücken mit hysterisch großen Schritten,
Ich sage: Dekompensation
& werde destruktiv sein, wenn sich jemand traut mir weiter wehzutun,
Dann muss ich wohl ein Recht gebrauchen, das ein Unrecht ist,
& mir einen von ihnen schnappen,
Einen dieser Köpfe, die angebracht sind auf kubischen Körpern,
Die verkorkst sind & keine Pillen mehr vertragen,
Die vielleicht Mal aufgeschnitten werden sollten, um etwas hineinzustecken,
Einen Holzlöffel etwa, eine Faust oder ganz einfach einen Schwanz,
Eine Stange aus Hartplastik und Dopamin, um rührselig & effizient
Ein Mal kräftig umzurühren,
Bis der Löffel stehen bleibt im Kopf,
Wie bei Eintopf oder einem guten борщ,
Dann nehme man das Neptunsäckchen,
Falls da noch ein Rest ist, den es zu erledigen gilt
& denke an etwas, vor dem man noch Angst zu haben glaubt
Dem Schwimmen im offenen Atlantik vielleicht, von Metaphern bereinigt,
Dann mag man befreit sein,
Dann mag man geheilt sein, ganz vielleicht geheilt
(…)
Kli|'schee <n. 15> Druckstock, Druckplatte für Hochdruck, Ätzung; Abklatsch; <fig.> abgegriffenes, schon zu oft gebrauchtes Wort; in ~s sprechen <fig.> [ frz. chliché]
aus: Gerhard Wahrig, "Das große Deutsche Wörterbuch"
C.Bertelsmann Verlag, Gütersloh 1967