Wenn ich mit der Hand schreibe, in mein Notizbuch schreibe, beginne ich immer mit dem Datum, vor jedem Eintrag, auch vor dem zweiten oder dritten des Tages, steht ein Datum. In der letzten Zeit ist mir aufgefallen, dass fast jedes Datum eine Bedeutung hat. Geburtstage von Menschen, die ich kenne oder gekannt habe, selbst wenn ich ihnen nicht gratuliere, der Tag ist mit ihnen verbunden, ich denke an sie. Die vom Mond unabhängigen Feiertage, der 1. Mai, der 1. August, der 24. Dezember, auch am 17. Juni und am 3. Oktober erinnere ich mich kurz daran, dass in Deutschland gefeiert wurde oder wird. Und dann natürlich die Signaltage, der 6. August, der 11. September, der 8. Mai, leider auch der 20. April, wie kann es sein, dass noch immer der 20. April in meinem ewigen Kalender steht, jedes Mal geht ein kurzer Ruck durch den Tag. Aber dann auch wieder die Tage mit den schönen Erinnerungen. Der 22. November bleibt der Tag meiner ersten Lesung, im damals noch so lebendigen Buch und Wein in Wien, Gert Jonke, dessen Tag der 8. Februar ist, sprach über Vögel. Natürlich der 6. Januar, nicht wegen der drei Könige, der 6. Januar oder der 7. Januar, weil Mitternacht vorüber war, als wir es wussten. Manche Tage sind überfüllt, vier deutsche Wendepunkte am 9. November, vier Geburtstage am 3. Februar, und als ich vor einigen Wochen gefragt wurde, ob mir der 27. Mai für die Lesung in der Buchhandlung Orlando in Wien passe, dachte ich erst: Nein, da war doch was. Bis mir einfiel, dass meine letzte Lesung in Wien auch an einem 27. Mai stattgefunden hat. Es gibt nur noch so wenige leere Tage. Es gibt immer weniger Tage ohne Bedeutung. Heute ist einer.
Kommentar schreiben
Jutta Reichelt (Montag, 26 Mai 2014 09:57)
Seit fast einem Monat kaue ich nun darauf herum - radikal. Dass ich es nicht bin und es auch gar nicht mehr sein möchte - jedenfalls steht es nicht sehr weit oben auf der Liste der Wörter, mit denen ich mich beschreiben können will (oder beschrieben werden können will?).
Andererseits: das Gegenteil soll es auch nicht sein, die vollständige Abwesenheit eines, wenn auch nur winzigen, radikalen Gedankens, Wortes, Handelns?
Für einige Tage die Hoffnung, dass ja, was ich täglich tue, schon als radikal bezeichnet werden könnte: Die Versuche, ein Leben zu führen, in dessen Mittelpunkt eine vollkommen verschwenderische, unökonomische Suche nach dem richtigen Wort oder Satz steht. Die Versuche, Geschichten davon zu erzählen, dass es nicht gut ist, wie es ist. Aber dann denke ich an meinen Kleingarten, in den ich gleich fahren werde - und ziehe das Wort "radikal" doch schnell zurück. Ein wenig beschämt.
Nein. Wie es ausssieht: Keine Radikalität bei mir zu finden. Vielleicht später einmal - früher war es ja auch kein Problem. Und wer weiss schon, was nachts passiert. Vielleicht sind ja immerhin meine Träume an Radikalität kaum zu überbieten ...