Ich habe von den Tagen mit und ohne Bedeutung geschrieben, davon, was ihnen anhängt, was sie beschwert oder beleuchtet. Ich habe von den Tagen mit Signalwirkung geschrieben. Der 30. Mai ist so ein Tag. Und das hat mit einem Lied zu tun. Dem 30. Mai hängt ein Lied an und mit dem Lied eine Mischung aus Endzeitbewusstsein und Weinseligkeit. Seit ich ein Kind war, habe ich es gehört, habe ich diese Nachricht empfangen: Am 30. Mai ist der Weltuntergang. Wir leben nicht mehr lang. Wir leben nicht mehr lang. Ein Lied aus den frühen 50ern, gar nicht so lang nach Davon geht die Welt geht nicht unter, und wenn sie nicht einmal davon untergegangen war, konnte man ja weiter trinken.
Und es hatte wohl eine konkrete Prophezeiung gegeben, eine von vielen, aber auf diese für den 30. Mai hat sich das Gorlowski-Quartett einen Reim gemacht, mit der nur scheinbar erlösenden Pointe: Doch keiner weiss in welchem Jahr / und das ist wunderbar. Und diese Pointe hat nun den 30. Mai für immer mit dem Untergang verbunden. Man kann nicht, wie am Morgen nach der Mottoparty zum Mayauntergang die Hände reiben und sagen: Ich hab es sowieso nie geglaubt. Es gibt immer einen nächsten 30. Mai. Der Termin wird nie abgesagt, nur verschoben. Schon der nächste 30. Mai könnte es sein. Heute zum Beispiel.
Ich weiss nicht, ob ich das als Kind schon begriffen habe. Oder ob ich es mit Siebzehn, unmittelbar nach Tschernobyl, nach I hope the Russians love their children too und Besuchen sie Europa, solange es noch steht, tröstlich fand, als sich die Toten Hosen beim Anti-WAAhnsinns-Festival gegen die Wiederaufarbeitungsanlage von Wackersdorf mit ihrem 30.-Mai-Cover auf einen Termin festgelegt haben: Doch jeder weiss: nur noch ein Jahr / und das ist wunderbar.
Ob ich es tröstlich fand, dass die Welt im Jahr darauf wieder nicht untergegangen ist. Eher nicht, denke ich. Denn ich habe auch danach nie einen Sinn fürs Langfristige gehabt. Und ich plane immer noch nicht gern über den nächsten 30. Mai hinaus.
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