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Martedi, 17. Oktober 2012 - Rebibba

Wie immer, wenn ich aus einer U-Bahnstation hochkomme, habe ich die Orientierung verloren, bleibe aber nicht stehen, tue so, als ob ich diesen Weg täglich gehe. Vielleicht, dass ich im Gehen nicht sprechen muss, dass ich deshalb so gerne gehe, denke ich und gehe weiter. Komme an einem großen Knast vorbei, an dessen Gitterzaun ein Paar steht, dass Sätze in den Hof brüllt, die von den Mauern als einzelne Wörter zurückgeworfen werden. Dann ein paar Möbelgeschäfte (wer neue Möbel braucht, braucht auch ein Auto), ich überquere die Straße, an der Seite des Knasts: ein Mann mit Knopf im Ohr und Knarre im Halfter, steht da und nickt mir zu. Ich kehre um, weil der Kanal, zu dem ich wollte, längst hätte kommen sollen. Wieder zurück, an der U-Bahnstation vorbei, und nehme die Straße einen kleinen Hügel hoch, wieder einmal empfängt mich plötzlich ein Dorfgefühl, zwei Bars direkt nebeneinander, gut besetzt, ein Früchtegeschäft und eines für Zeitungen und Tabak, das ist die kleinste Dorfeinheit. Ganz Rom kommt eigentlich nie über diese Dorfstruktur hinaus. Dann beginnen die ersten Sozialblöcke, grau und von farbiger Wäsche verhangen, gehe zwischen ihnen hindurch, dann einem Park entlang, der leer ist, wie alle Parks in der Peripherie, rechts von einem Parkplatz geht ein Wiesenweg weg, den nehme ich, ich spüre, ich bin nah am Kanal, dann wieder ein Sträßchen, völlig zugewachsen, ein kleiner Platz, an dem ein Häuschen steht, davor ein Auto und auf der Kühlerhaube eine weiße Katze, deren Nase so schwarz ist, dass es aussieht, als wäre sie ihr in der Sonne weggeschmolzen (weggesengt!) worden, und zurück blieb eine dunkle Kruste. Danach wächst die Straße noch mehr zu, am Boden abgebrochene Kakteen, neben leeren Petflaschen und einer halben Matratze. Eidechsen springen zur Seite, wo ich durch spaziere, für einmal stinkt es nicht nach Pisse. Das Sträßchen ist kaum mehr ein Weg, als sich hinter ein paar Bäumen eine große Wiese öffnet, auf der ein Fußballtor mit einem halben, schlaffen Netz steht, als plötzlich am anderen Ende ein weißer Kampfhund geräuschlos auf mich zuzurennen beginnt. Ich drehe mich um, sehe gerade noch, dass hinter dem Baum auch ein Mensch hervorkommt, dann schaue ich nicht mehr zurück, bis ich mich wieder auf einer Straße vor einer Wohnsiedlung befinde. Gehe weiter, durch sie hindurch, dann gläserne Bürokomplexe, aus denen vereinzelt Schlipsträger und selten auch ein oder zwei Frauen kommen. Fühle mich plötzlich sehr fremd. Fremd gehen – so müsste ein Text über diese Spaziergänge heißen. Zwei Stunden bin ich schon unterwegs und langsam habe ich Hunger. Ich denke daran, wie ich als Kind einmal mit meinem Vater auf einer kleinen Wanderung war, dass ich da extrem hungrig war, als wir einen Gasthof betraten, dass ich verschwitzt war (das gab’s bei mir als Kind sonst fast nie), und als ich dann meinen Cervelat aß, mir vorstellte, wie die Leute dachten, ich sei ein Landstreicherkind und hätte schon seit Tagen nichts mehr zu essen bekommen – und der Cervelat schmeckte sehr sehr gut. Dann wieder ein Weg, immerzu Scherben und Abfall darauf, Gestrüpp, Gekraut, dann aber plötzlich auch neugepflanzte Bäume, die eine Allee bilden, ich gehe ihr entlang, runter, am Ende sehe ich eine großen Sozialbau, im Stil von Plattenbauten, nur farbig dieses Mal, von dort steigt Kindergeschrei, wie ein Krähenschwarm, in den Himmel, immer lauter, je näher ich komme, hunderte von Stimmen, wahrscheinlich ein Pausenhof – ein Kind wird mir nie begegnen. Bevor die Siedlung beginnt, biege ich rechts ein, eine riesige Wiese, Heide, Weise, riesig, tut sich vor mir auf, mit nichts als manchmal einem Strommast, dessen Sockel besprayt ist, nichts, was man lesen könnte. Dass ich noch in Rom bin, mitten in Rom, oder zumindest nicht ganz am Rand, denke ich, und dass ich mir wünsche, bei einem meiner Spaziergänge plötzlich nicht mehr zu wissen, wo ich bin und wenn ich frage: nicht mehr Rom, zu weit gegangen. Und bleiben. Als ob ich es nicht schaffe der Stadt zu entkommen, egal, wie viel ich gehe, egal wodurch, sie hört nicht auf, und immer dieser Geruch von Land, von Pinien und Sonne und meinem Schweiß – und irgendwoher auch immer der Geruch von Essen. Dann, am Rand ein großer Parkplatz, so groß wie drei Fußballfelder und nur zwei Autos, eines davon eine Autoruine, ein Wrack (schönes Wort), ausgebrannt, das einzig Weiße: vorne prangt es blank und verdutzt, ein Linzer Nummernschild. Das Auto aber auch innen wie ausgenistet, zerpflückt und in Asche, nicht mal mehr Scherben von den Scheiben sind zu sehen. Daneben ein normaler brauner Fiat und am Ende vom Parkplatz ein Lidl – ich bin mittlerweile schon vier Stunden unterwegs, kaufe mir für 19 Cents eine Flasche Wasser –, darin drehen Männer in Trainerjacken ein Marmeladenglas für 99 Cents mehrmals in der Hand, bevor sie es zurück ins Regal stellen, und beim Ausgang bettelt jemand.

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