4. febbraio 2013 – Napoli
So wie Rom in meinen herrlichsten Klischeevorstellungen, nur düsterer – als ob mein schönster Albtraum wahr geworden wär.
Nehme die Straßenbahn Nr. 2 stadtauswärts, Richtung Osten, darin nur uralte, hinkende, graue Menschen, in deren Gesichtern das Leiden sich eingegraben hat – als ob die Tram die Toten zur Stadt
hinauskarrt. Rechts durch Gassen und Hinterhöfe ist das Meer verlassen und glitzernd zu sehen, außerdem Fabriken, ganze Areale, nicht Gras wächst aus den Mauern, ganze Bäume sind es. Und immer
wieder denke ich, wie schreibt man über etwas, was man nicht begreift, aber sieht – und nur darüber will ich doch schreiben.
An einen Mann habe ich gedacht, der immer mehr reinrutscht, der erst nur dort kauft, dann auch mal weiterhandelt, dann ganz drin ist. Oder auch einfach nur weiter ein Spazierender bleibt, aber
immer weniger nach Hause geht, sich niederlässt in der Straße. Nicht der Alkohol wäre es, auch wenn es möglich wäre, dass er trinkt. So will es die Straße. Auch auf der Straße gibt es eine
Normalität, nur eine andere, aber auch sie gilt.
Vorerst gehe ich einfach immer weiter. Auch hier will die Stadt nicht enden, wäre da nicht am Horizont manchmal der Vesuv. Komme vorbei an Plakatwänden ohne Plakate, von Rost zerfressen, gewellt,
zwanzig stehen wie ausgemusterte Krieger in einer Reihe. Eine Katze schleicht herbei, eine mit erloschenen Augen, das Ohr eingerissen, und schmiegt sich plötzlich gegen mein Bein, lässt sich
förmlich dagegen fallen, doch als ich ihr übers Fell streichen will, das sich verfilzt und wie Geschwüre unter der Haut anfühlt, weicht sie zurück. Weiter vorne sitzt ein Mann auf einem
umgekippten Eimer, auf zwei weiteren Eimern zwei große, runde, flache Wassergelten, in denen Heringe dahintreiben – hier herrscht nicht die Mafia, die Armut ist es. Als ich plötzlich, angezogen
von einer Stimme, in einer Kirche lande. Es ist eine Frauenstimme aus einem Lautsprecher, die Frau steht mit dem Rücken zu den Bänken, sie liest die Messe. Vielleicht 40 Menschen, fast nur
Frauen, in den vorderen Reihen. Es klingt schön, die Stimme der Frau, die nie durch Heben oder Senken die Satzenden anzeigt, viele Sätze wiederholt und wiederholt und dann plötzlich aufhört, dass
die Stille so überraschend eintritt, dass ich ihr für einen Moment nicht traue.
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