Foto: Luca Maximilian Kunze
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0610

Präludium: Die Arroganz Adams

 

Adam ist arrogant. Wie er in der Erde liegt und seine Hand locker in den Himmel streckt – als wäre es gar nichts – diese Bewegung. Als würde es ihm keine Mühe machen. Als wäre es gar nichts, das Leben zu empfangen. Natürlich, er hat nicht darum gebeten. Er liegt auch genau so da, als hätte er nicht darum gebeten. Seine Hand hängt schlaff in der Luft. Adam langweilt mich mit seiner Arroganz. Er versteht das Leben nicht. Norah lacht, als ich ihr das ein paar Stunden später mitteile. Wir sind schon längst nicht mehr in der Sixtinischen Kapelle, sondern wieder auf dem Weg zurück ins Hotel durch die glühende Augustsonne. Nur Touristen sind im August in Rom – nur Touristen. Norah hatte den ganzen Vormittag über geschwiegen, dabei wollte sie unbedingt rein und die Pieta sehen usw. – und jetzt lacht sie. „Ich finde das alles schrecklich.“ sagt sie plötzlich. „Und du verstehst es nicht mal.“ Wir stehen auf dem kleinen Balkon, der zum Glück im Schatten liegt – ich verstehe nicht, wie sie diese Hitze ertragen kann – wie sie sich immer wieder in die Sonne setzen will – in diesen banalen Zustand: Sonne. Und irgendwann tropft ihr der Schweiß aus den kurzen Haaren über die Stirn – ein seltsam säuerlicher Geruch aber nicht schlimm, nur anders. Jetzt aber stehen wir im Schatten und sie sagt: „Das ist alles Blut und du verstehst es nicht mal – du Katholik!“ und das letzte Wort hat sie ganz bitter ausgesprochen, ganz klar und hart. „Ich schimpfe nicht über die Kunst – nur eben, dass es alles Blut ist – auf Blut gebaut für Prunk. Und dann verstehst du es nicht ein mal.“ Ich war mit einer gewissen Begeisterung durch den Petersdom gelaufen, weil mich seine Größe überraschte. Norah stand lange vor der Pieta, hat aber nichts gesagt. Überhaupt: Sie hatte gar nichts gesagt. „Ich finde das alles widerlich – wirklich widerlich – schade, dass es so schön ist.“ sagt sie „Schade also, dass du es nicht verstehst. Es ist eben die Erschaffung des Menschen.“ und wieder hatte sie die Worte ganz deutlich, ganz hart ausgesprochen als würde sich die Bedeutung dieser Worte verdichten, wenn man sie nur besonders deutlich ausspricht. „Ja und?“ ich will rein gehen – drinnen ist es kühl, auch wenn die Klimaanlage kaputt ist, auch wenn die dunstig-warme Luft von draußen seit unseres Aufenthaltes auf dem Balkon beharrlich herein geströmt ist – es ist viel kühler. Ich will mich auf das Bett legen. Ich will schlafen. Adam langweilt mich mit seiner Arroganz. „Das ist die Erschaffung des Menschen.“ sagt sie erneut „Denn der Mensch ist noch gar nicht. Und alles wartet auf diese letzte Berührung Gottes. Der Arm hängt nicht aus Langeweile, nicht aus Arroganz – der hängt, weil er eigentlich noch gar nicht ist und das ist letztlich der Zustand, in welchem wir immer noch sind: Wir sind nicht – wir warten auf diese letzte Berührung, auf den letzten Stoß, der uns zum Menschen macht. Und deshalb hasse ich die Kirche. Sie macht uns wartend. Sie entlässt uns in dem Glauben, auf diese letzte Berührung ein Leben lang warten zu müssen.“

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