Foto: Luca Maximilian Kunze
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Der Blick aufs Meer I

Ich bin aufgewacht und hab die Frau neben mir geschüttelt, wo ist denn die Lena, und sie hat gesagt, irgendwo schwimmen, lass mich in Ruh. Im Meer war sie aber nicht. Ihr Handtuch lag unordentlich neben meinem, sonst war nichts zu sehen. Eigentlich war es komisch, dass es überhaupt noch da war. Ich hab zur Sicherheit auch ihres in meinen Rucksack getan und mitgenommen.
Ich bin dann vorgegangen zur Wasserstelle. Wie immer standen die Leute mit ihren Bechern an und warteten, bis sie dran waren, um sie zu füllen. Gleich neben dem Wasserhahn saß die alte Frau, die kaputte Flaschen mit einem Taschenmesser auseinandersägte, um daraus zwei kleinere, dafür nicht kaputte Becher zu machen. Ich wollte sie fragen, ob sie Lena gesehen hatte, aber sie war so vertieft ins Plastiksägen, dass ich sie nicht stören wollte.
Ich ging weiter zum großen Zaun, wo ist die Lena, fragte ich mich. Ein Mann stand davor und hielt sich mit den Händen an den Drähten fest. Er kaute Tabak und spuckte ihn allemal durch eins der Zaunvierecke auf die andere Seite. Sein Gesicht war ganz braun, mit eingegrabenen Falten und Linien, wie ein gestrandeter Seemann sah er aus. Aber hier war sie auch nicht. Ich drehte mich einmal im Kreis. Wo ist die Lena, dachte ich erneut.
Mir war fad. Es gab auch nicht viel zu tun außer schwimmen und in der Sonne liegen, aber das hatte ich schon erledigt für heute. Vielleicht noch Wasserholen, aber das machte ich mit Lena. Ich musste sie unbedingt finden. Wo war sie eigentlich und warum war ich allein.
Der letzte Krankenhausbesuch bei der strengen Tante zum Beispiel, da war der Lena wieder was eingefallen. Wir waren alle um das Bett von der Tante versammelt. Lena und ich sollten still sein und gerade stehen, hatte die Mama vorher gesagt, weil wenn wir bucklig stehen, oder uns hinsetzen, dann wirft das Kleid Falten und es sieht aus, als hätte sie es nicht gebügelt und das war ja nicht wahr. Die Kleider für uns hatte sie extra bei der Nachbarin ausgeliehen, das heißt wir mussten doppelt vorsichtig sein. Später begann die Tante leise vor sich hin zu schimpfen, als die Eltern aus dem Zimmer gingen. Vielleicht dachte sie auch, Lena und ich könnten sie nicht hören, aber wenn sie das dachte, dann war sie dumm, wir standen ja gleich daneben. Sie schimpfte auf die Eltern, ihr geldgeilen Schweine, sagte sie, ihr gierigen Stücke. Warum sie das sagte, wusste ich nicht, auch Lena wusste es nicht, sicher war es kein guter Grund. Lena hat dann begonnen die Pillen der Tante nach Farbe und Größe zu sortieren und kleine bunte Häufchen auf dem Nachttisch zu machen. Als die Tante das bemerkte, wurde sie wütend und schimpfte auf uns, ihr undankbaren Gören, hat sie gesagt, aber wir mussten nur noch mehr lachen und Lena zwinkerte mir zu.

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