Ein Monat voller Klischees und man sollte es nicht meinen: es gibt noch viel mehr davon.
Dies waren Auszüge aus dem Buch Schwätzen und Schlachten, es erscheint im Frühjahr 2014 bei Kiepenheuer und Witsch und Klischees sind schön.
Ich halte das für ein Gerücht, sagte Glaser.
Ich halte das für hundertprozentig wahr. Wir können es aber ausprobieren. Ich wette, dass die von uns befragten Bauern ganz erleichtert sind, wenn endlich ein vernünftiger Mensch kommt und mit ihnen über den Zaren spricht und seine Gesundheit. Um die steht es nämlich schlecht, sagen wir zu den russischen Bauern und sie werden in dieses traditionelle russische Wehklagen ausbrechen und sagen, dass sie das schon befürchtet hätten, weil sie so lange nichts von ihm gehört hätten. Vielleicht treffen wir noch auf ein zwei Fälle von Nervenfieber. Wundern würds mich nicht. Meine Verwandtschaft aus der großen weiten westlichen Welt ist da ähnlich. Die Wende, die Mauer, sie verbinden damit nichts. Glasnost und Perestroika, das können russische Raumfähren sein oder beliebte Nationalgerichte. Was da eigentlich los war, davon haben sie keine Ahnung, sie finden den Osten einfach originell. Sie mögen meine Oma. Sie singen Alle Jahre wieder das Klavier hinauf und wieder runter und lassen den Herrgott einen guten Mann sein.
Das klingt ja großartig!
Du fällst auch auf alles herein. Das war nur die Version, die auf große glückliche Familie macht.
Gibt’s in großen glücklichen Familien eine andere?
Nein, natürlich nicht.
Ja, sagte Sydow verträumt. Das Nervenfieber. Pommern. So heißt das in den Büchern in denen an Nervenfieber gelitten wird. Das eine ist ein Fall für die Psychiatrie, das andere heißt jetzt nicht mehr so. Brandenburg. Oder Mecklenburg.
Und ist sie da manchmal?
Die Oma? Ja.
Ja und?
Ja! Sie ist da manchmal! Und ein Haufen anderer Leute, die, wenn du sie siehst, den Gedanken an die anatolische Großfamilie gar nicht so verkehrt aussehen lassen. Meine Oma organisiert dort immer Familientreffen zum Fürchten. Aber was heißt Familientreffen, wo fängt eine Familie an, wo hört sie auf? Sydows aus dem hintersten Winkel der Welt treffen sich dort Winters unterm Weihnachtsbaum, verbraten ganze Schweinesippen, verheizen den Hausforst im Kamin und suchen im Weinkeller nach dem Wein, den sie vor Jahren schon ausgetrunken haben. Ist man, nur weil man zufällig denselben Namen trägt, gleich eine Familie? Ich bezweifle das. Sie essen einfach gerne Schweinebraten. Sie finden den Osten irgendwie originell. Sie fahren einfach gerne nach Pommern. Sie mögen meine Oma. Alle mögen meine Oma. Das alles hat doch mit Familie nichts zu tun. Wie die meisten Leute sind sie verkappte Trinker. Ist das Familie? Kann schon sein. Sie kommen und verheizen den Ostwald, aber der hatte es immer schon schwer. Früher der Tagebau, man holzt ihn ab, heute meine Familie, holzt ihn ab. Für den Ostwald hat sich seit der Wende überhaupt nichts verändert, das ist bei dem Wald dort oben in etwa so wie bei den Russen in der russischen Provinz. Bei den russischen Bauern, wenn man ihnen was vom Kreml erzählt, der Landkarte auf dem Kopf von Gorbatschow, dem trinkfesten Jelzin, die gefährliche Blässe eines Putin, fragen sie verständnislos nach dem Zaren und seiner Gesundheit.
Es heißt nicht mehr Pommern, sagte Sydow. Wie es übrigens, das nur am Rande, auch nicht mehr Nervenfieber heißt. Ich rede immer ganz selbstverständlich von Nervenfieber, er hat ein Nervenfieber, sie litt an einem schlimmen Nervenfieber, beklommen fühlte ich das schlimme Nervenfieber in mir aufkeimen, wieder hatte ihn das alte Nervenfieber überfallen. Ich sage das, weil in der Brandneuen Neuesten Literatur, die ich studiere, gerne und oft an Nervenfieber gelitten wird, eine Krankheit, die heutzutage anscheinend ausgestorben ist. Als ich neulich ganz vertraulich meinem Arzt davon berichtete, von meiner schlimmen Befürchtung nämlich, selbst womöglich an einem Nervenfieber zu leiden, sagte er, ich läse die falschen Bücher.
Falsche Bücher? fragte ich erstaunt, wobei es mir aber sofort einleuchtete, falsche Bücher? Kann man davon ein Nervenfieber bekommen?
Typhus, sagte er, bei Nervenfieber handele es sich in der Regel um Typhus. Käme bei uns praktisch nicht mehr vor. Es sei eine Krankheit mit ihren Wurzeln in mangelnder Hygiene. Ob meine Hygiene mangelhaft sei. Ich wies das von mir. Nun sei aber, sagte er, keineswegs jedes Nervenfieber in einem veralteten Buch eine Typhuserkrankung. Es wäre sonst, sagte er, der Zusammenhang mit der mangelnden Hygiene unzureichend. Die Hygiene sei schon längst nicht mehr derart mangelhaft gewesen, das Nervenfieber aber blieb. Was also sonst alles, sagte er, abseits der mangelnden Hygiene und daraus resultierenden Typhuserkrankung gerne und oft in den veralteten Büchern als Nervenfieber bezeichnet würde, sei allesamt ein Fall für die Psychiatrie. Alles in allem, fasste er die Sache zusammen, gäbe es zu der Befürchtung Anlass, es handele sich bei den literaturrelevanten Nervenfiebern praktisch nie um tatsächliche Typhuserkrankungen, hingegen praktisch immer um seelische Kalamitäten: ein Fall für die Psychiatrie. Es sei offensichtlich, so der Arzt bekümmert, der Typhus und damit auch das prekäre Problem der mangelnden Hygiene literarisch irrelevant, Fälle für die Psychiatrie hingegegen literarisch sehr relevant.
Solche Bücher lese ich also, sagte ich.
So oder so, sagte er, sind es die falschen.
Gewiss. Sydow nickte ein bisschen weiter, ganz sicher. Zu viele Farben auch, alles so schön bunt hier, das ging den Ossis nach der Maueröffnung auch so, hatten noch nie eine Ampel gesehen, standen in ihren kleinen Pappautos auf den Kreuzungen herum, staunten. Sie überlegten, dass hier sicher für was geworben wird, mit schönen bunten Lichtern, Kapitalismus halt, wo man geht und steht wird für was geworben. Sie haben auf den Kreuzungen gestanden, das Spiel der Lichter betrachtet, sie haben gedacht, hier wird geworben und gegrübelt, wofür. Damals sind viele Westberliner in die Meditationskurse geflüchtet, Gelassenheit üben.
Stanjic kriegte endlich den Motor gestartet, ließ ihn aufheulen und das Auto machte einen Satz nach vorn, brauste über die Kreuzung, Sydow hielt sich am Handgriff über der Tür fest, bestens, er nickte, bei Rot über die Ampel.
Grün, rot, Stanjic bog quietschend um die Ecke, das sind einfach viel zu hektische Phasen hier.
Ich sags ihm, sagte Sydow. Ich hoffe, er nimmt es als Ermunterung noch gelassener zu sein.
Er kurbelte das Fenster wieder hoch, lass dir ruhig Zeit, sagte er, ich glaube, die Meditation hat ein paar neue Anhänger gewonnen.
Oje, sagte er, Sydow schaute hinaus, und da kommt schon einer.
Er kurbelte das Fenster runter, streckte den Kopf hinaus, wir sind gleich soweit. Mein Freund besucht derzeit einen Meditationskurs, das sind so Hausaufgaben, sich nicht aus der Ruhe bringen lassen, Stresssituationen einfach veratmen, Gelassenheit und so, er braucht das für seine Entwicklung.
Wenn er nicht innert Sekunden die Fliege macht, der Automobilist klopfte ungeduldig aufs Autodach, er hatte sich hinuntergebückt, spähte ins Innere des Wagens, wenn er nicht innert Sekunden die Fliege macht, wiederholte er, ist seine Entwicklung hier gleich zu Ende. Jede Entwicklung.
Ich glaube eigentlich nicht, sagte er, dass das was Theoretisches sein soll.
Grüner wird’s nicht.
Was?
Es ist grün, wenn dus schon nicht siehst, müsstest dus langsam hören, die in den Kilometern hinter dir sind kurz davor, aus ihren Gefährten zu steigen, dich aus dem deinem zu zerren und zu vermöbeln. Übrigens heißt das Wie bitte.
Stanjic gab Gas, der Motor soff ab, ohje, sagte er.
Ich weiß nicht. Stanjic blickte der Menschenkette hinterher, der Letzte in der Reihe schaute in die Luft, wurde hinterhergeschleift. Ihm war aufgefallen, dass bei promenierenden Behindertengruppen immer mindestens einer in die Luft schaute, hinterhergeschleift wurde. Dieser hier trug auffällig schöne Schuhe, echte Waldviertler, wie Stanjic mit dem geübten Blick des Ureinwohners sofort erkannte, und wenn er auch mit gutem Grund sonst alles Österreichische boykottierte, die Waldviertler waren einfach solides Schuhwerk, Krisengebiet hin oder her. Vielleicht aber auch gerade darum, vielleicht hatte ein pfiffiger Kopf angesichts des tiefen, österreichischen Sumpfs einfach die idealen Schuhe erfunden fürs Land, trittsicher: auch wenn’s bergab geht.
Glasers Filme waren eine Sache, aber, sagte Stanjic, er hielt an der Ampel, sie schauten zu, wie eine Behindertengruppe Hand in Hand in Hand die Straße überquerte, in einer langen Reihe wie beim Singspiel, noch viel komischer, sagte Stanjic, sind die Sachen, die er schreibt.
Sicher so Medientheorien, sagte Sydow, abwegige Überlegungen zur Kunst.
Die Häuser rundherum: nicht schön, eines davon war, vermutlich um seine ungeheure Hässlichkeit zu kaschieren, vollständig verhüllt von einem riesigen Plakat, darauf stand: Sie wollen zum Alex und wissen aber nicht, wo der wohnt?
Stanjic lachte, genau, sagte er. Er warf die Wurst weg, es war quasi die Wurst zum Stadtplan, weil – er winkte ab, egal, murmelte er, ist viel zu mühsam, das jetzt zu erklären.
Es war ein Stadtplan zum Verzweifeln oder eine Stadt zum Verzweifeln, so genau konnte er das noch nicht sagen.
Er warf den Plan in die Mülltonne und kaufte sich eine Wurst.
Er irrte noch ein bisschen um den Fernsehturm herum. Schön war es hier beileibe nicht. Er schaute nach oben, aber auch oben war es nicht schöner. Der Fernsehturm, immerhin gewissermaßen pittoresk. Er erinnerte ihn an die Styroporattrappen futuristischer Städte in veralteten futuristischen Filmen.
Diese eingefältelten Stadtpläne, die bei dem geringsten Versuch, sich doch noch zu einem vollständigen Plan und Bild der Stadt auszubreiten, zerrissen, sie vermittelten den törichten Eindruck, es handele sich weniger um eine Großstadt als vielmehr um durchaus überschaubare kleine Dörfer. Ausschnitt für Ausschnitt klappte man sich durch die Stadt und gelangte so zu der völlig falschen Auffassung, es sei diese Stadt beispielsweise fußläufig durchaus bewältigbar. Seit er das gedacht hatte, ging er viel zu Fuß und kam nie an, seit er das gedacht hatte, verirrte er sich unablässig und fand kein Zentrum. Er hatte dann aufgehört, das zu denken und fuhr nach Mitte, fuhr zum Alexanderplatz und suchte die Altstadt, aber da war keine.
Jeder, der schon einmal planlos am Alexanderplatz herumgeirrt ist, weiß, dass das kein Spaß ist. Er versuchte es noch einmal mit dem Stadtplan, vergeblich. Stadtpläne, die man nicht vollständig ausbreiten konnte, Stadtpläne, die man nicht beispielsweise flach über eine Motorhaube breiten konnte, auf einen ausladenden Rücken, an eine allfällige Wand, um sich so einen Überblick zu verschaffen, waren völlig nutzlos und vor allen Dingen, und das fand er bedenklich, verfälschten sie die grausame Realität der Großstädte: dass sie nämlich groß waren.
Dann nahm er den Turm. Er fuhr zum Alexanderplatz, aber er sah auch hier sofort, so sieht kein Zentrum aus. Wo ist die Altstadt, sagte er, aber es gab keine, schlecht fürs Zentrum. Und schon hatte er nicht weiter gewusst, er wusste immer schnell nicht weiter, eine Charakterschwäche.
Dieses planlose Irren durch die Stadt, diese planlose Stadt. Hatte nicht jede normale Stadt ein Zentrum? Doch.
Diese nicht. Berlin hatte kein Zentrum. Berlin hatte Mitte, aber war Mitte ein Zentrum? Nein. Stanjic fand Mitte kein Zentrum, es war eine ganz falsche Versprechung. Man fuhr nach Berlin, man hatte mit Müh und Not einen dieser komplizierten Stadtpläne entheddert und nach einem Zentrum gesucht. Wo sollte es sein? Am Fernsehturm? Wieso? Weil man, dörflich oder provinzstädtisch geprägt, vermutet, jeder Ort schare sich um eine Kirche. Aber diese Kirchen hier, waren das überhaupt Kirchen? Er bezweifelte das. Dörflich oder provinzstädtisch geprägt vermutet man, in Ermangelung einer solchen, eine Stadt schare sich zumindest um einen Turm? Genau. Genau so hatte er gedacht. Eine Stadt wie Berlin konnte sich natürlich nicht um eine kleine Dorfkapelle drängen, es müsste ein Dom sein. Er suchte nach dem Dom, aber da war keiner. Gewiss, da war ein Dom, die Leute hier sagten, dort steht der Dom, aber er sah gleich, das war keiner. Stanjic wusste, wie Kirchen aussehen, er wusste, was ein Dom ist. Da war keiner.
Bisher hatte er aber nichts dergleichen entdeckt, auch in den Filmen spielten bedrückend wenig nackte Frauen mit, es waren wohl eher symbolische Filme, bloß verstand er die Symbole nicht. Gut möglich, dass eins der Symbole eine nackte schöne Frau symbolisierte, aber er wusste nicht welches. Vielleicht hätte er sonst mächtig viel Spaß gehabt beim Filme schauen.
Vielleicht aber auch nicht. Er war eher nicht so für Symbolik. Er mochte nackte schöne Frauen, er mochte es, dass sie nackt waren, er mochte ihre Schönheit. Er war, dachte er bei sich, ein ganz schlichter Charakter.
Stanjic dachte zum Beispiel: eine nackte schöne Frau. Oder - na ja. Er dachte im Grunde nur: eine nackte schöne Frau. Was sollte man sonst in einem Bett Interessantes finden. Aber das fände er sehr interessant. Er fände es geradezu inspirierend.
Wollten ihm die Filme irgendwas sagen? Was? Wollten sie ihm nichts sagen? Warum nicht? Trotzdem er hatte das diffuse Gefühl, ab einer gewissen Menge geschauter Filme womöglich irgendeinen geheimen Zusammenhang aufzudecken. Er dachte sich den Effekt in etwa so, wie wenn man durch diverse Zimmer stöbert, von jedem Bett die Decke zieht und hofft, dass was darunter ist.
Wenn er einen der Filme schaute, verstand er ihn nicht. Sie ließen ihn in tiefer, ratloser Kontemplation zurück, wiewohl er sie sich jeweils mehrfach zu Gemüte führte, sie waren, wie gesagt, vorsorglich für eher beschränktere Persönlichkeiten wie ihn, immer in Endlosschleife.
Stanjic war, kurzum, eine feige Socke, in Österreich war die Krise und er rannte davon, setzte sich ab und tat, als wär er ein politischer Mensch. Dabei:
Der Österreicher, sagte Sydow abschließend, ist an sich kein politischer Mensch, beim Österreicher ist immer alles privat. Es heißt Klara oder Topfen statt Quark und betrifft den Österreicher immer höchstpersönlich.
Das war natürlich nur die halbe Wahrheit.
Ach was, sagte Sydow, es hat mit der Wahrheit rein gar nichts zu tun, es hat mit Österreich nichts zu tun, dieses Land ist ein Debakel, sagte Stanjic gern. Kann schon sein, erwiderte Sydow, bloß ist dein eigenes Debakel ganz und gar privater Natur, es heißt Klara und macht auf Dauer, dass dir das Land zu eng wurde. Nicht weil das Land so klein wär oder Klara so dick, mehr so innerlich.
Weit gefehlt. Hohn und Spott wirst du ernten, Bosheit und Stinkerei. Der Österreicher wird dich nicht nur nicht zum Frühstück einladen, er wird dich immer und konsequent in die falsche Richtung schicken, immer dahin, wo in tausend Jahren nie ein Bäcker auftaucht. Fahre nicht nach Österreich. Auch nicht theoretisch.
Ist gut. Gott sei Dank ist dir die Flucht gelungen.
Ja, die Krise hatte mich schon fest in der Mangel. Aber ich bin dem Land entwischt.
Aber ich meine theoretisch, sagte Stanjic. Sagen wir, du würdest dorthin verschleppt, von Männern mit Damenstrumpfhosen auf dem Kopf, in einem verdunkelten Bus nach Österreich gekarrt, vor dem Dom aus dem Auto geworfen und stehst jetzt in Wien auf dem Stephansplatz und suchst, beispielsweise, nach einem Bäcker. Die lange Fahrt, das schwere Los der Verschleppten, die Ungewissheit unter den Strumpfhosen, dieses Österreich an sich, die Angst hat dich innerlich aufgezehrt, du hast einen Bärenhunger. Du fragst einen dahergelaufenen Ureinwohner: Wo bitte kann ich hier ein paar Schrippen kaufen und denkst hoffnungsvoll: Vielleicht hilft mir der Exotenbonus, Schrippen, denkst du, sie werden hören, ich komme aus Berlin, ich bin hier fremd und einsam, ich vermisse die Schrippe, die Bulette und Kaffe statt Kaffee, der Österreicher wird mich zum Frühstück einladen.
Ist auch besser so, was soll man in Krisengebieten auch groß ausrichten, außer man ist von Amnesty oder von der Caritas, die könnten in Österreich vielleicht noch was reißen.
Vielleicht.
Das Interessante daran war: sagte einer in Deutschland Marille statt Aprikose und die Milch geht über, fanden das alle sympathisch und irgendwie exotisch, umgekehrt, sagte Stanjic zu Sydow, umgekehrt kann ich dir da nur abraten.
Ich fahre sowieso nie nach Österreich, sagte Sydow.
Gott sei Dank hatte er diesen Quatsch hinter sich, diese latente selbstzufriedene Unzufriedenheit, die engstirnige Besserwisserei, dieses im Grunde durch und durch marode und malade System, manchmal sagte er Quark anstatt Topfen, nur so vor sich hin, er sagte Postbote anstatt Briefträger und wartete auf den echauffierten Aufschrei, das genäselte Aufheulen seiner ehemaligen Mitbürger, Österreich aber war weit weg, Krisengebiete sind immer so angenehm weit weg.
So viel dazu. Stanjic hatte damit so seine Erfahrungen. Nicht weil er ein Vereinsjockel wär, er kam nicht mal aus der Türkei. Stanjic kam aus Österreich, er war ein Österreichflüchtling, aus Österreich geflüchtet, wie andere Leute aus Krisengebieten flohen, er fand, Österreich war in der Krise und die Welt schaute nicht hin.
Womit er sich sein Geld verdiente, war im Großen und Ganzen undurchsichtig, irgendwas mit Film.
Was Film, sagte Sydow, er fand das zu undurchsichtig.
Na, so Filme eben, sagte Stanjic, komisches Zeug.
Und wo spielt er so was?
Keine Ahnung, Vereinslokalen, öffentlichen Toiletten.
Vereinslokalen?
Türkische Vereinslokale zum Beispiel, da rennt eh den ganzen Tag der Fernseher und die Sachen von ihm sind immer in Endlosschleife, das ist genau das richtige Format.
In Endlosschleife? Warum?
Weil man sie sonst nicht versteht.
Sagt wer.
Sagt Simon.
Und die Türken, was sagen die?
Keine Ahnung, sind doch Türken. Aber wenn ich türkisch könnte, würd ich sagen, sie sagen: Das ist also dieses Deutschland. Schlimm.
Verstehe. Und du?
Ich verstehe sie auch so nicht.
Aber was solls, wenn der Bär kommt, grab dir ein Loch und leg dich hinein und stinke. Alte Jägerweisheit.