Foto: Luca Maximilian Kunze
Foto: Luca Maximilian Kunze

Zu Gast im März

18-03 | Fabian Hartmann

> zur Biografie

> zum online-KLISCHEE

Zu Gast im Mai

17-05 | Philipp Röding

> zur Biografie

> zum online-KLISCHEE

1231

die stadt ist voller schießbuden. läden schließen nicht mehr. ich trage handschuhe und setze mich auf meine hände. ein mann läuft an mir vorbei, trägt einen ausgestopften fuchs vor der brust. augen, zunge. vielleicht ein hauptgewinn.

1230

ich liege auf der mezzanine und komme nicht mehr runter. neben mir liegt alles kreuz und quer, wie ein mageninhalt, bücher, stifte, vor allem tassen mit kalt gewordenem. die heizungsluft fährt etage für etage zu mir nach oben, legt sich dazu wie ein schwerer, schlafender körper, den ich nicht aus dem bett rollen kann. also lasse ich ihn kalt werden. oder schlafe selbst. ein zahnarzt hat einen sauger in meinem mund vergessen. er zieht jeglichen speichel, bis ihn jemand vermisst.

 

nach einer woche wasche ich. sehe die katze wieder. sie sitzt auf der mauer, starrt die wäsche trocken.

 

1229

die moskitos sind zu motten geworden. sie sitzen auf den lichtschaltern und warten. dennoch betrachte ich die waschmaschine als neues haustier. ich sitze neben ihr, wringe für sie socken aus, handtücher. die wohnung tropft. in meinem bauch schwappt es.

1228

wir gehen weg. ein rockclub, von den wänden bröckelt seifenwerbung, eine graue katze. wo nichts bröckelt, hängen autoteile. hinter der bar klebt ein schild: man spricht deutsch. darunter: ach so … . alle tragen jeans. als erstes tanzen die hunde. der schlagzeuger ein cocker spaniel, ein anderer verschwindet ewig auf der stehtoilette. die barfrau trägt haare und jeans sehr hoch, sagt ein glas weißwein und bitteschön.

1227

als ich die tür zur straße öffnen will, plätschert es durch den türschlitz. auf dem boden liegen prospekte. die pisse fährt über die äpfel, den käse, den fisch und legt sich dazu. ich mache die tür auf, der türrahmen verreibt die pisse. als ich wieder nach hause komme, haben die prospekte wellen. ein paar tage später sind sie weg.

1226

wir sitzen an einem ausgezogenen tisch. alle schmieren sich avocado auf ihr stückchen baguette, picken oliven. ein französischer film mit englischen untertiteln. die italienerin sagt: you can find some appartments here, which have 11 square metres. the people must have catheters instead of bathrooms.

 

ich fahre zum ersten mal mit einem nachtbus. es gibt nur einen nachtbus. und einen nachtbusfahrer. er fährt ab 20 uhr im kreis. wer jetzt nach hause kommt, riecht verbrannt. der rest nach fleur d’oranger.

1225

die katze jagt das laub. das laub jagt die katze. sie kommt jetzt regelmäßig. sitzt unter der frischen wäsche, beißt ins handtuch, putzt sich, leckt eiscreme von ihren pfoten. ich gehe jetzt regelmäßig raus.

 

in den metroschächten riecht es nach streichholz. die metro wird kurz angezündet, kurz ausgeblasen, glimmt um die ecke. ich sitze als einzige in einem waggon, fahre maximal fünf stationen. an manchen gleisen warten aquarien. ich nehme die treppen zum alten hafen, der regen weht mir den fisch entgegen. jemand rotzt.

1224

am alten hafen haben sie einen weihnachtsmarkt aufgebaut. es gibt zuckerwatte, barbe à papa, und ein riesenrad. hinter dem rücken der stände stehen fischer und ihre fische. beide leben noch. die einen werden live mit einer schere ausgehöhlt, die anderen schneidet der wind. in einer karaffe schwappt wasser, grenadinerot.

1223

ich laufe an fischrestaurants vorbei, eine möwe kackt in meine orangina.

 

die tage klemmen in einem holzrahmen, das holz ist schwarz und 10 cm breit. kinder ziehen von laden zu laden, drücken sich einen leeren popcorneimer gegen den bauch. sie wollen bonbons, der gemüsehändler legt ihnen birnen hinein. eine frau steht daneben, dankt. ich fange an, datteln zu essen, ziehe die kerne als dicke splitter zwischen den lippen durch.

1222

wir laufen auf einer straße, es gibt keinen gehweg, links olivenbäume, rechts eine mauer, dahinter wachsen die trauben und wachsen. ab und zu ein haus, grau und wächst. ich sage: hier sieht es aus wie in frankreich. es riecht nach pinien, knackt unter den füßen. zwei hunde bellen hinter jedem tor und wachsen zusammen.

1221

in der bahn sitzt ein kleiner junge, zerbeißt seinen kaugummi in zwei gleich große teile, grinst und steckt die eine hälfte einer frau in den mund. moitié-moitié, sagt er. der kaugummi ist hellblau, sie kauen und lernen mit vollem mund zählen. zwischen dreißig und vierzig stockt er kurz. dann fährt der zug weiter.

1220

an manchen tagen weht der mistral die katze in die wohnung. ihr körper spielt snake, wendet an den ecken, zieht sich unter dem wäscheständer durch. sie bleibt hier, der vermieter verreist. vorher legt er uns weintrauben auf den tisch. einmal und nochmal. wir holen sie rein, legen sie ins nudelsieb. es riecht süßlich und fault. das nudelwasser schnurrt.

1219

eine ältere frau und zwei kinder stehen vor einem großen stadtplan. der junge fragt: marseille, c’est où? die frau sagt: marseille, c’est tout. wir fahren in einen stadtteil, der ein dorf ist. küken gruppieren sich um ein huhn, picken knochen ab. eine école de la deuxième chance. der bus endet. wir laufen an der straße entlang. rechts kalkstein, links boote, die für den winter eingelagert werden. auf einem felsen hocken zehn schwarze katzen. hier ist das meer ein baggersee. ein mann kommt mit drei fischen aus dem wasser. aus dem kalk leuchtet che guevara herunter. ich sitze auf einem stein, bis er kalt wird. im wasser schwimmen köpfe.

1218

der mistral trübt das wasser. die wellen kommen wie hunde an, bringen den stock zurück. es ist mittwochnachmittag, keine schule. die kinder gruppieren sich um die frau, die mandarinen verteilt. sie waschen sich im meer die hände. dann hocken sie da, kauen und kämmen dem sand die haare.

1217

die tauben fliegen tiefer. das metall klackt. beim boule gewinnt der, der die kugeln einfach fallen lässt. ein mann schüttelt einen stab aus dem ärmel. dann hebt ihm ein magnet die kugeln in die hand zurück. ein anderer spielt mit schwarzen kugeln aus plastik.

1216

wenn wir besuch haben, stechen die moskitos zuerst den besuch, dann uns. man könne die stechmücken hier so schlecht hören. meine zahnbürste klingt wie ein ganzer schwarm. sie sticht nur beim ersten benutzen.

1215

abends ist der himmel ungegendert. rechts dunkelblau, links in rosa das mädchenzimmer. später hat der wein die gleiche farbe. die laternen springen aus, die rolltreppen lahmen, die tram blitzt und tropft.

 

wir gehen ins theater. auf der bühne steht der tod und bläst plastikknochen auf. ein anderer spielt e-gitarre, es blitzt. rechts, auf der treppe neben den stuhlreihen, sitzt ein junge und hält mickey mouse ins licht. das stück ist fertig, bevor es angefangen hat. ich bleibe sitzen.

 

um mitternacht herum schreien die vermieter nach der katze. inzwischen sind die zettel verschwunden, das tier ist wieder da, nur unpünktlich. wenn ich allein hier sitze, kommt es, sucht nach der maus meines laptops, tappt über die winterjacken, die wir hinter dem schrank versteckt halten.

 

1214

samstags haften die körper wie geckos an den felsen. schwappen kurz ins glasklare wasser, ziehen sich raus, trocknen. c’est froid? – non, c’est glacé. sonntag, im supermarkt, fragt mich der mann, ob ich schwedin sei.

 

der strand schließt um 20 uhr. auf der toilette liegt ein schwangerschaftstest. ich kann das ergebnis nicht sehen. ein kilo loup de mer kostet 85 euro. wir bestellen tajine, um sie zu zeigen. der mann zeigt auf uns, de la suisse?  fragt er. jeder seiner finger steht für ein auto, das er in deutschland gekauft hat. les allemands, ils sont plus gros.

1213

die katze ist verschwunden. der vermieter kramt nach den zetteln. die zettel sind von juni. blanchette klebt nun an mehreren mauern, will weiter aufs dach. er hat den juni durchgestrichen. und schlechte laune.

 

ich stopfe wäsche. die waschmaschine läuft nun eine woche lang. wir fahren ans meer, um es zu zeigen. ein mann hat ein surfbrett genommen, einen plastikstuhl darauf geklebt, sich auf den plastikstuhl gesetzt. er paddelt von einer bucht zur nächsten. ein anderer mann hat ein surfbrett genommen, eine angel darauf geklebt, sich auf das surfbrett gestellt. manche tragen neopren. manche brüste. ich laufe zwischen den anderen am felsrand entlang, unten zieht sich eine harpune aus dem wasser. das wasser hier ist ein blähbauch, auf den ich mein ohr drücke. drüben sitzt ein kormoran, macht nichts anderes.

1212

ich werde in einen korb gepackt, jetzt kann ich nur noch rausschauen. schaue zu den männern, rechts, die bei 300 km/h kalten kaffee kochen. sie wickeln zeitungspapier auseinander, schütten zucker in ein glas, kaffeekörner darüber, rühren es zu matsch, handwarmes wasser darauf. trinken. ein baby, schreit. wenn es nicht schreit, höre ich zungen. ich schlafe.

 

der jüngste polizist guckt sich meinen ausweis an. in diesem zug gibt es keinen schaffner, nur polizisten. das baby liegt unter einem schwarzen tuch. es hat der mutter den ohrring aus dem läppchen gerissen. der korb schwankt. mir wird übel. in meinem mund hängen französische sätze, trocknen.

 

1211

erst nach zwei wochen sind wir zum ersten mal im panier, der altstadt, die ein rücken ist. ein rücken eines riesigen pferdes. ich sitze in einem korbstuhl und falle gleich runter. unten liegt der alte hafen, ein teller bouillabaisse für vierzig euro. im sommer ist ein restaurantschiff gesunken, weil es zu viele gäste hatte. franzosen skaten vorbei, es wird früh dunkel. man sieht nur noch den mast, mehrere, die speisekarten. fischsuppe bekommst du nur, wenn alle am tisch fischsuppe bekommen.

 

weiter vorne schneidet eine frau mit einer schere churros ab. teig plumpst in fett. wir nehmen zwölf. die frau singt ring my bell mit französischem akzent, streut zucker drüber.

1210

eine zeitlang verlieren meine haare wellen. es ist das wasser hier, das ich trotzdem trinke. der bambus ist um die mittagszeit so laut, dass ich die glastüren zudrücke. ein paar laubbrocken haben es bis ins badezimmer geschafft. in den nächsten tagen soll der mistral wieder ein looser werden. ich leihe mir comics aus.

1209

auf dem marché aux livres brennt es in nasen und augen. alle leute müssen plötzlich niesen. wir kaufen nichts. man muss bestellen, was einem in den kopf kommt. etwas zu essen dazu oder aufstehen und gehen. es gibt keine karten, aber leitungswasser aus rumflaschen, das den sirup unten bleicht.

der park hat geschlossen. wir kaufen einen stuhl mit grünem polster.

1208

der mistral hat die moskitos mitgenommen.
wir sitzen in einem restaurant und fischen getrocknete pflaumen aus dem sud der tajine, die ganz marseille warm hält. im fernsehbild an der wand werden eierstöcke entfernt. mir fallen die erbsen auf den boden. der mann bringt uns tee und gâteaux, die nach räucherstäbchen schmecken.

1207

die anzahl der moskitos hat sich nur aufgrund der geckos reduziert. einer sitzt in der küchenrolle. ich erschrecke das kind des vermieters. das kind ist fünf und redet über les gens allemands. die katze starrt mich an, wenn ich mich umziehe. wir haben zum dritten mal keine milch mehr. die orangen sind billig, eine frau schüttet oliven in eine plastiktüte, knotet sie zu. ich fürchte küchenpapier.

1206

wir spielen memory. decken weitere straßen auf, wieder um, wieder auf. in einem café serviert man uns nach 18 h keinen kaffee mehr, sondern bitteren schwarzen tee in kleinen tässchen. jeder ein minzblatt, jeder vier stück zucker. ein mädchen kommt wie ein tollwütiges tier auf uns zu, bonjour, c’est quoi, zeigt auf ein bild, hechelt weiter. wenn wir das haus verlassen, zertrampeln wir zertrampelte feigen.

1205

montag, dienstag, donnerstag und freitag schreien kinder. auch die möwen sind kleinkinder, die über unserer terrasse zu jammern anfangen. z.b. über die morschen holzstühle, die nach und nach einfallen werden. auf der terrasse wächst nun laub und der wind greift hinein, wie in eine chipstüte.

1204

das meer sehe ich zum ersten mal vom bus 54 aus. wie eine werbeanzeige blinkt es kurz auf. als ich näher dran bin, schwankt im wasser ein klavier. ab und zu kniet sich jemand davor. kinder kommen aus dem wasser, es ist dunkel. sie bekommen die großen pullover ihrer mütter übergezogen, wir essen die ersten frites.

1203

die tiere stechen mich dort, wo ich mich nur auf fotos sehen kann. sie versuchen, mir eine gürtellinie zu stechen. haben auch in die internetkabel gestochen, zeitweise. zu mittag beißen wir auf holzsplitter, fingernagelgroß. das salatbesteck schält sich in der hitze. nach und nach puhlen wir das holz aus dem risotto.

 

- du musst ein glas ouzo trinken.

 

- ich hasse ouzo.

 

- dann ein glas pastis.

1202

am morgen riecht die wohnung nach dem badezimmer meiner eltern. teebaumöl und zitronenscheiben sollen die moskitos vertreiben. die katze des vermieters nur einen sprung vom gedeckten tisch entfernt, es klappert. eines der gläser ist schon am zweiten tag zerbrochen. wir trinken aus schalen. um uns nicht noch mehr straßenecken zu merken, fahren wir unter ihnen vorbei. der name der bibliothek switcht in meinem kopf immer wieder zwischen alcazar und alcatraz, alcazar und alcatraz. nach ein paar stunden sind wir wieder die dicke schwarze katze, der jede weitere maus zu viel ist.

1201

seit gestern abend sind wir eine dicke schwarze katze, die in eine neue wohnung gebracht wird. die katze sucht das sofa, kriecht darunter und bleibt dort, bis sie etwas braucht. wir bewegen uns langsam. in dieser wohnung sind nur die moskitos schnell.

 

nachmittags verlassen wir zum ersten mal das haus, gehen die straßen ab. es lohnt sich nicht mehr, ein revier mit urin zu markieren. es stinkt vor allem vor der grundschule nach pisse, dafür ist es warm. die straßen sind dreckig, trotzdem noch beige. die häuser so, als wären sie mal sandburgen gewesen. wir schütten endlich milch in den kaffee. ça suffit.