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31 E
All die Stunden die wir in Argwohn verbrachten und nicht in Revolutionen die Revolutionen verschliefen und uns wunderten gar nicht mehr wunderten was die Polizei
deren Polizei nein es ist doch unsere Polizei unser Staat wir sind der Staat und die Polizei und das
unser Volk leider aber wahr wir haben nichts getan weil wir nichts tun mussten und es besser war für uns und so sind wir da gelegen bis wir nur noch liegen durften sie haben uns die Liebe
genommen ja es ist wahr die Liebe ist nicht mehr zumindest nicht als abstraktes Konzept die Liebe ist noch da nicht mehr als Wahrheit aber als Tat trotzdem sie haben uns die Liebe genommen ja es
ist
wahr
Sie steht auf, sie setzt sich hin, sie öffnet das Notizbuch, sie beginnt zu schreiben. Sie hört auf zu schreiben, sie blättert zurück. Es ist viel zusammengekommen. Sie ist nicht ganz zufrieden,
sie blättert nach vor, sie schreibt weiter.
All die Straßen die wir teilten mit den Trotteln und den Koffern die uns die Straßen nahmen und uns vertrieben mit ihrer Trottelhaftigkeit und Kofferigkeit ich meine
hast du jemals Menschen gesehen sie hupen bei der ersten Gelegenheit wer möchte mit solchen Menschen leben ich ganz sicher nicht sie sind mir viele große Unmöglichkeiten ein Zusammenleben ist
zwecklos schließlich werde ich verlieren weil ich ihnen zuhöre und sie schließlich uns nicht zugehört haben
werden sie uns Publikum sein oder Wärter ich weiß es nicht doch eines wurde doch klar dieser Monat hat uns alle wieder nicht befreit auch wenn es schön war hab ich mich doch wieder nicht entdeckt
und sonst auch wenig sie
haben uns die Liebe gestohlen Sie haben uns die Liebe gestohlen
Sie steht auf, legt den Stift ab und schaltet das Diktiergerät ein. Sie geht zur näheren Wand und schwingt sich zum Handstand auf. Dann diktiert sie, bis sie wieder nicht zur Tür reinkommen.
Am Ende kann nur die Explosion nichts Anderes kann am Ende kommen Ladies and Gentlemen die Explosion und ihre Folgen werden uns ins Ahistorische retten vielleicht nicht ganz ins Posthistorische
und doch
retten
und es bleibt nur noch zu sagen
Die Welt ist nicht nur von unten verkehrt
30 G
A:Wir verschwenden unsere Zeit?
B:Das nehme ich an.
A:Wie kommst du darauf?
B:Wir werden dafür bezahlt.
A:Werden wir nicht.
B:Eben.
29 A
Sie ist in ein Gespräch geraten, wenn sie auch nur am Rande beteiligt ist. Sie lässt sich vollquatschen von der viel zu viel quatschenden Person und dem Rest der Runde, in die sie wahrhaft
geraten ist, weil es leider auch zu ihrem Leben gehört, ohne Intention in Dinge zu geraten. Sie hat schon verstanden, was er ihnen sagen will, sie hat es schon nach dem ersten Satz
verstanden, sie hat auch etwas gesagt, aber er hat nicht zugehört und weitergeredet. Die haben noch nicht verstanden, was ich da sage, denkt sie sich, dass er sich denkt, dabei hat er noch
nicht verstanden, was er da sagt. Ihm das sagen zu müssen empfindet sie als übergriffig von ihm gegenüber ihr, und deshalb sagt sie nichts und hört zu und verflucht die kleinen
Unabwendbarkeiten im menschlichen Umgang, während sie sich in den Hintern zwickt.
28 R
Eine neue Version ist verfügbar. Das ist eine Grundsätzlichkeit in unseren Leben, die versionale Kontinuität. Das stetige Nacheinander, vielleicht mit ein bisschen gutem Willen und schlechtem
Gewissen potenzielle Nebeneinander von Lebensentwürfen. Die folgen sich dann, lassen sich aber nicht notwendigerweise folgern, und diese Ambivalenz nennen wir Leben. Wenn das alles
schlussendlich, aber ohne Finalität vereint wird, ergibt sich daraus ein Mensch, diese Ansammlung von Dilemmata.
27 F
Es ist eine ganz widerliche Welt, und von den ganzen widerlichen Menschen würdest du lieber nichts wissen, denn die Ahnung ihrer Existenz ist eigentlich schon genug Horror in deinem
Leben. Und dennoch gehst du raus und sie schauen dich an und greifen dich an und kotzen dich an, sie sind überall und widerlich. Du willst lieber nichts von ihnen wissen und ihren
Meinungen und Ansichten und Armen und Beinen, die alle wahrhaft übergriffig sind. Dennoch bist du da.
26 E
'Man ist immer mit dem Nichts konfrontiert' war der letzte Satz und er besprach dabei das Anfangen. Es ist ein ermutigender Satz, finde ich, voller Potenzial und Unausgesprochenem. Er sagt mir
auch, Das ist das Nichts und du bist das Viele. Und er gibt mir auch ein Gewissheit, eine Bestimmtheit, eine Sicherheit. Manche Sätze sind schöner als andere.
25 N
Ferner der Utopien zu leben wäre kaum noch möglich, wir leben im Zeitalter des normativen Realismus, im spätrealistischen Endnormativismus. Träumen dürfen wir wirklich nicht, was bleibt
sind der Sachschaden und der Imageverlust, die Einheiten unserer Existenz. So wird das alles nichts, aber das soll es wohl auch nicht mehr. Nichts wird mehr, weniger geht immer.
24 H
Mach dich zu deinem Projekt, arbeite an dir und deiner Selbstentwicklung, verwickle dich in Entsprechungen deiner
Eigenheiten. Erst wenn du vermessen bist, ist alles vermessen, vergiss das nicht. Stillstand ist der Tod in
bequemem Gewand, steh nicht still, bewege dich, steh nicht still. Du sollst nicht traurig sein, das kannst du dir
nicht leisten, du wirst nicht fürs Traurigsein bezahlt, vergiss das nicht. Mach dich zu deinem Projekt, arbeite an
dir und deiner Selbstentwicklung, am Ende wartet der Tod, aber das verrat ich dir nicht.
23 O
Hängen, alle hängen, und den Rest an die Wand, hat er gesagt, und alle haben ihn verstanden. Niemand hat ihn nicht
verstanden und für Unverständnis war auch kein Platz in diesem Moment. Sie haben ausgetrunken und sind rausgegangen und
zurückgekommen. Sie haben weitergetrunken und haben nicht an ihm gezweifelt. Erst dann am Ende des Abends, als er langsam
begonnen hat wirr zu reden, da haben sie sich dann gefragt, ob sie ihn wirklich verstanden haben.
22 T
Sie sitzt in einem italienischen Lokal an einer vielbefahrenen Straße. Sie schaut den Menschen in ihren Autos zu. Die einen fahren
hinein in die, die anderen hinaus aus der Stadt, und zusammen halten sie sie in Bewegung. Sie bestellt das Mittagsmenü 3. Es stehen
nur zwei auf der Tafel und die Kellnerin nickt freundlich. Nach zwei Ampelphasen bringt sie ihr einen Apfelsaft und nach vier einen
Teller Nudeln. Sie isst und trinkt und danach steht sie auf und geht. Sie geht die viel-zu-vielbefahrene Straße entlang und hält
die Stadt mit in Bewegung. So lang sollte keine Straße sein, denkt sie sich, länger als eine halbe Stunde sollte keine Straße sein.
Nach zwei halben Stunden sieht sie vor einem Geschäft eine Frau sitzen, vor der zwei Männer stehen, die diese von oben herab
beschimpfen. Sie kommt näher und hört sie sagen, die Frau hätte doch bestimmt noch zwei Beine und falls nicht, sollte die es ihnen
beweisen. Sie ärgert sich, sowas gehört zu haben, und kramt in ihrer Tasche. Sie findet was sie sucht, steckt im Vorbeigehen beiden
Männern jeweils einen Fünfer in die Hand und sagt ihnen, dass die für die Frau bestimmt sind. Dann geht sie schneller und dreht die
Musik lauter. Sie denkt sich: Das waren die letzten Fünfer.
21 R
Ihr habt es bestimmt schon gehört, ein Wort macht die Runde, ein Wort von der Vergänglichkeit und der Endlichkeit. Es ist ein Lob auf die
In-den-Moment-Leberei und die Verpasserei, obwohl, bei Zweiterem bin ich mir unsicher, es ist intellektuell nicht ganz schlüssig das Wort,
aber was ist das schon, ganz sicher kein Mensch, ganz sicher nicht. Das ist nun alles ganz nett und ein recht ehrbarer Versuch der Rettung
unserer aussichtslosen Leben, doch muss ich mir ganz unwillkürlich diesen Versuch vorstellen wie die Preisung der letzten paar kläglichen
Atemzüge eines Menschen beim Ersticken. Wenn dir eine Gesellschaft zuletzt auch noch den Hedonismus als ganz besonders geil und sexy
verkaufen will, solltest du misstrauisch werden.
20 O
Banal, banal, banal und bitter geht die Welt zugrunde, oder zumindest eine Welt, wir müssen ja nicht gleich anthropozentrisch werden wie so eine
Tierdoku. Jedenfalls suche ich immer noch nach der Weltformel. Was ich mit der alles anzustellen imstande wäre, wage ich mir gar nicht auszumalen,
vielleicht könnte ich sogar zu schreiben aufhören, das wäre doch was. Diese Formel sollte optimalerweise oder würde besser gesagt definitionsweise
alles erklären von den plumpen Argumentationstrategien im Fernsehen bis zu den Wippen in unseren Köpfen. Der Weltformel komm ich jeden Tag ein
bisschen näher und entferne mich ebenso weit davon, das ist einer von den vielen bitteren Witzen, die so ein Leben ausmachen. So ein Leben ist viel
zu kurz um so ein Leben zu verstehen, das ist das einzige Problem. Das Alles ist schließlich kein teilbares Ding.
19 W
Im Rückblick liegt viel Wahrheit, wenn auch nicht eine vom Vergangenen auf das Zukünftige schließende. Er kann uns viel erzählen über uns und die Welt, die
Blödheit und das Versagen. Nicht ohne Grund lassen sich viele unserer Streitigkeiten darauf reduzieren, dass jemand sagt: Es mag sein, dass es so ist, doch
es war nicht so. Und jemand sagt: Es mag sein, dass es so war, doch es ist nicht so. Und das ist dann zwar eine fundamentale Differenz der Ansichten, aber
eben auch eine ebensolche Übereinstimmung. Konservatismus ist also eine große Nostalgie, aber weiter bringt uns das auch kaum.
18 T
So eine Stadt ist ein Dorf, sagen wir oft, wenn die weniger unwahrscheinlichen Zufälle wieder mal eingetreten sind und wir uns gesehen haben zwischen all den
unbekannten Menschen. Dass wir ständig auch all die unbekannten Menschen sehen, geschenkt, sie bewachen die Grenzen unserer Wahrnehmung und sind uns nicht von
Belang. Jedenfalls ist so eine Stadt eine Ansammlung von Plätzen, auf denen wir ständig all die vergangenen Menschen sehen könnten, die wir gegenwärtig nicht sehen
wollen.
Die Lösung ist eine andere Stadt.
17 N
Sie liest, sie trinkt Kaffee, sie erwacht. Sie schaut nach draußen, es ist viel zu hell und viel zu dunkel, die Sonne blendet sie durch die graue Wolkendecke. Es ist
wieder nichts passiert, denkt sie sich und hört zu lesen auf. Sie steht auf und schaltet das Radio ein, geht zur gegenüberliegenden Wand und macht daran einen Handstand.
Sie stellt sich vor, an der Decke zu gehen und auf den Türrahmen klettern zu müssen, um ins Klo zu gelangen. Obwohl das Klo dann ja ein ganz eigenes Problem ist, denkt sie
sich. Das Telefon klingelt. Sie schwingt ab, landet auf den Zehenballen, die sich ein bisschen hölzern anfühlen, und stampft zum Tisch. Sie kennt die Nummer nicht, hadert
kurz und hebt doch ab. Die Stimme ist zu jung, denkt sie sich. Einmal sagt sie 'Korrekt' und dreimal 'Ja', dann einmal 'Pünktlich', und dann legt sie auf. Sie ist
zufrieden mit dem Gespräch und sich selbst und legt sich rücklings auf den Boden.
16 A
Sie geht durch die Straßen, die sich hier zwischen die grauen Häuser quetschen lassen, wie auch die Menschen hier gequetscht ausschauen und als würden sie sich lassen, denkt sie
sich. Die Häuser grau, die Lichter aus, einladend findet sie das alles nicht, und deshalb ist sie nur auf der Durchreise, weil manches eben zum Durchreisen gebaut ist und dann zum
Bleiben geblieben. Sie bleibt aber nicht, sie kann sich den Ausgang leisten, und schreitet hinaus. Sie geht über eine vielbefahrene Straße ohne Schutzweg, dahinter betritt sie
einen Park. Sie schaut kurz auf ihre Uhr und visiert eine Parkbank an.
15 E
Wie viel schöner wäre denn ein Leben im ersten Versuch, ohne das stetige Speichern und Zurücksetzen auf den letzten gesicherten Erkenntnisstand. Ohne das ständige Herumprobieren, das
immerwährende Hin und Her, das andauernde Lernen und Verlernen-Müssen. Es wäre auch lustloser, aber das ist ein Einwand aus dem Elfenbeinturm, aus dem ich stamme, aus dem ich gebürtig und
in dem ich wohnhaft bin. Es fehlte der Fortschritt und der unbestimmte Zauber, die Ungewissheit und die Überraschung, das Besser-Wissen und der Erfolg. Im Abstrakten ist alles eine Frage
von Ästhetik und am Realismus hatte ich nie ein ausgeprägtes Interesse. Also doch: Wie schön wäre ein Leben auf den ersten Sitz.
14 N
Vielleicht ist es zu wenig Sonne, vielleicht viel zu wenig Sonne. Aber so eine Sonne blendet nur. Vielleicht geh ich auch nur zu wenig raus, oder es ist die
wirtschaftliche Gesamtlage, das ökonomische Klima oder die finanzielle Totalkrise. Es ist ja schließlich hier alles und alles hier äußerst depressiv, vor allem die
Unterhaltsamkeiten. Das ist keine Welt um meine Form zu finden, ganz sicher nicht bei diesem Wetter. Dennoch ist das wohl mein Wetter.
14 N
Vielleicht ist es zu wenig Sonne, vielleicht viel zu wenig Sonne. Aber so eine Sonne blendet nur. Vielleicht geh ich auch nur zu wenig raus, oder es ist die
wirtschaftliche Gesamtlage, das ökonomische Klima oder die finanzielle Totalkrise. Es ist ja schließlich hier alles und alles hier äußerst depressiv, vor allem die
Unterhaltsamkeiten. Das ist keine Welt um meine Form zu finden, ganz sicher nicht bei diesem Wetter. Dennoch ist das wohl mein Wetter.
13 I
Sie sitzt auf einer Bank vor einer riesigen, perfekt gemähten Rasenfläche, sie wird nicht mehr lang warten, höchstens bis fünfzehn nach. Um dreizehn nach setzt sich eine
Dame neben sie, vermutlich mindestens doppelt so alt, denkt sie sich. Die Dame sagt, Die haben uns die Liebe gestohlen. Sie antwortet, Sag nicht Die und Uns, sag Wir und
Uns, die haben die Idee nur aufs Tapet gebracht und wir haben sie dankbar abgeräumt. Sie reden und manchmal reden sie nicht, und als die Glocke einer für sie nicht
sichtbaren Kirche zur vollen Stunde schlägt, schauen sie sich kurz an. Sie sagt zur Dame, Die dreizehn Minuten können wir noch hier sitzen. Sie sitzen dreizehn Minuten da
und reden nicht, und dann steht die Dame auf und drückt ihr ein Bündel Geld in die Hand. Sie steht auch auf und sie gehen in entgegengesetzte Richtungen fort. Sie denkt
sich dann: Vielleicht macht doch jeder kurze Satz die Welt ein bisschen schöner.
12 E
Die Aufgabe: Eine Chance wahrnehmen. Die Chance: Eine Aufgabe erfüllen.
Was denen wichtig ist, wird uns schon noch wichtig werden, und was uns wichtig war, werden wir bald auch schon vergessen. Nein, ich will nicht sagen, sie sähen den
Wahnsinn in unseren Köpfen, aber sie verkaufen ihn uns doch und verkaufen uns in Wahrheit uns selbst. Was wir nicht kaufen können, werden wir auch nie besitzen, und was
wir nicht besitzen, werden wir nie benutzen, so ist es nun, geborgt ist alles, umsonst ist nichts. Ein Hoch auf dieses Joch und unsern Wunsch, es abzulegen und uns daraus
auszuspannen, ein Hoch auf alles Unverkäufliche in unseren Köpfen. Sie sagen, das Gegenteil von reich ist nicht ganz so reich, und das Gegenteil von Wahrheit ist die
Happiness. Wir sagen, lieber nehm ich tausendmal die Happiness, bevor ich wahr zugrunde gehe.
11 T
So ein Zusammenleben ist ein stetiges Vergewissern in der ständigen Entrücktheit zwischen dir und den Anderen. So ein Zusammenleben hat seine Problematiken, die es hegt
und pflegt. So ein Zusammenleben stärkt dich und bedrängt dich, wenn du nichts mehr siehst und alles hörst. Es ist eine wunderbare Verrückung aus der Ausweglosigkeit in
ein unbestimmtes Etwas, das dich manchmal auch streichelt. Mehr kann ich dir nicht sagen.
10 S
Sie geht die Straße entlang nach weiter weg von dort, wo sie immer ist. Eine alte Frau eilt leicht wacklig vor ihr in das Geschäft, sie betritt es gemächlich dahinter. Es befinden
sich schon drei Menschen zu viel darin, das heißt, drei Kundinnen und der Verkäufer. Als die Erste in der Reihe fertig ist, betritt eine Weitere den viel zu kleinen Raum,
Körperteile quetschen sich aneinander vorbei, sie windet sich und wird doch berührt überall. Als sie endlich dran ist, zum Glück ohne Verwirrung, wer früher drinnen gewesen sei -
sie hätte wieder nichts gesagt - beschreibt sie das Produkt, dessen Namen sie nicht ganz genau erinnert. Der Verkäufer fragt dreimal nach, dabei hat sie es in Aussehen und
sonstigem Wesen genauestens beschrieben und die fragende Namensnennung des Produktes schon zweimal als korrekt bejaht. Schließlich wird ihr das Gewünschte ausgehändigt und sie
kann das nun fast leere Geschäft verlassen. Sie tritt nach draußen, überquert die Straße, geht weiter weg und weg von dort und öffnet die Packung. Sie denkt sich nur: Nein,
Zigaretten verkaufen können die Menschen auch nicht.
9 I
Die Evidenz des Köstlichen macht uns blind für die Langzeit. Und damit will ich sagen: Der gelobte John Maynard kann noch tausendmal im Langrennen recht haben, ich werde es doch noch
nicht recht verstehen. Und damit will ich eigentlich sagen in aller Eigentlichkeit: Ich bin nicht für immer.
8 E
Sie lässt die Menschen aussteigen, sie steigt zwischen Menschen in die U-Bahn ein, sie stellt sich in eine leere Ecke. Es sind nicht viele Menschen, aber zu viele. Sie scannt die
Anwesenden nach Kontrolleurshaftigkeiten ab, sie findet nichts dergleichen an ihnen. In jeder Station stellt sich irgendjemand anderer nah, viel zu nah neben sie. Sie zählt die Stationen
runter. Es sind nicht viele Stationen, aber zu viele. Sie scannt, sie zählt, sie macht sich dünn. Sie lässt die Menschen aussteigen, sie steigt hinter Menschen aus, sie geht auf eine
leere Strecke. Es sind viele Menschen, viel zu viele. Sie geht schnell und bestimmt, vorbei an all den trägen Leuten. Sie setzt zum Überholen eines bulligen Mannes an, der beschleunigt,
stemmt die Hände seltsam in die Hüften und geht plötzlich den Oberkörper wie ein Cowboy schwingend neben ihr her. Bei jeder Säule stößt er seinen Ellenbogen ein bisschen heftiger in ihren
Oberarm, bald wird er ihr allen Raum genommen haben. Wenn er sich den Raum nehmen kann, kann er den Raum ihr nicht lassen, denkt sie sich, dass er sich denkt. Sie schaut sich kurz um,
vermisst den Abstand zwischen den trottenden Menschen und ihre Geschwindigkeit, wird schnell langsamer, macht hinter dem Schiefgänger einen Schritt zur Seite und überholt ihn endlich
unbedrängt. Sie hat wieder nichts gesagt, weil eine U-Bahn-Station kein Ort ist für solche Gespräche, was soll sie da sagen. Sie denkt sich nur: Nein, im Raum bewegen können sich Menschen
nicht.
7 I
Er sagt, Die Vorsätze müssen immer extremer werden. Ich sage, Wieso denn das. Er sagt, Vom Gipfel geht es nur nach unten. Ich sage, Was erreicht ist, ist erreicht und bleibt es auch.
Der Vorwärtsdrang, das Aufwärtsstreben, diese Richtung in unserem Leben, erlaubt uns nur selten das Innehalten, das in Wahrheit nur wir selbst uns nicht gewähren. Höher, weiter, auf jeden Fall
nicht still. Die Rastlosigkeit ist groß und die Glückseligkeit ihr Versprechen. Das ist kein Esel und auch keine Karotte, das ist bloß eine Verheißung eines kleinen Augenblicks der Ruhe, oben da,
wo wir nie waren, wo wir hinwollen, im Epizentrum unseres Bebens.
Er sagt, Oben ist der Blick gut und das Unten weit weg. Ich sage, Oben werden wir müde sein und nur nach unten wollen. Er sagt, Deswegen tun wir es. Ich sage, Eben.
6 S
Irgendwann erreicht mich immer eine Verzögerung, so sei es nun. Zeit ist immer auch keine Zeit, denn Zeit ist immer alles was ich habe und Zeit hab ich nie. Zeit ist das
Einzige, das ich wahrlich mein Eigen nenne, und das Einzige, das ich produziere. Sie wartet nicht auf mich, ich aber auf sie, und das ist wohl eine das Konzept
definierende Verhaltensweise, läuft ihm aber auch zuwider. Irgendwann werde ich sagen, ich habe die ganze Zeit gewartet, sie aber nicht repariert, und dann ist es zu spät.
5 A
Sie steht an einer Supermarktkassa, umgeben von viel zu vielen Menschen und einer von denen reiht sich hinter ihr ein. Kommt immer näher und näher, kommt viel zu nah und nah und
parkt schlussendlich den Einkaufswagen in ihrem Rücken und ihrer Ferse. Sie knickt leicht ein, richtet sich wieder auf und schiebt den Einkaufswagen mit dem Handrücken leicht
zurück. Der Hintere schiebt dagegen und in sie hinein, weil der Wagen sich bewegt hat, und wenn der sich bewegt, muss er ihn bewegen, denkt sie sich, dass er sich denkt. Sie
machen das noch zwei Mal und sie sagt nichts, weil der offensichtlich geistig schon tot ist, was soll sie da sagen. Sie denkt sich nur: Nein, soziales Wesen ist der Mensch keines.
4 T
Er sagt, Wir beide sind ein lustiges Duo. Ich sage, Gerade wir beide sind es nicht. Er sagt, Wir teilen doch die meiste Zeit. Ich sage, Wir teilen doch meistens nur uns.
Wir sitzen da, umgeben von Menschen und Bekannten, die einen in fernerer, die anderen in näherer Umgebung, und sind uns verbunden in der Welt, doch getrennt in der Situation. Getrennt
durch all die, die hier zwischen uns sitzen und neben uns, die uns begrenzen in unserer Armfreiheit und der Wahl unserer Gespräche. Verbunden durch das Wissen, nicht allein zu sein mit
unseren Ahnungen und Ängsten, und die Furcht, es viel zu schnell wieder zu sein.
Was uns trennt, wird uns immer auch verbinden, und was uns bindet, werden wir immer auch besitzen.
Wir sitzen da, uns aller Possibilitäten unserer Verbindung bewusst, und in der Ahnung, auch ohne Vollendung schlussendlich hier gewesen zu sein.
Ich sage, Wir werden uns nie trennen. Er sagt, Uns trennen doch wir. Er sagt, Wir werden uns nie verbinden. Ich sage, Uns verbinden doch wir.
3 N
Für meine Subtilität ist keine Frage offen. Tun wir so, als würden wir uns gut verstehen. Ich habe viel, ich habe viel, ich habe, ich, viel geschrieben habe ich, und du wirst, wirst nicht, wirst
mich, wirst mich nicht diminuieren, nein, nein, vielleicht doch, ich bin schwach, schwächlich, also vielleicht doch, ja, nein, doch, wer weiß, ich nicht. Aber verstehen wirst du das hoffentlich
nicht. Denn Verständnis musst du haben für nichts und niemanden.
2 A
Er steigt die kalten, glatten Stufen hinab, umgeben von gar keinen Menschen. Er zweifelt schon längst an seinen Füßen, er spürt sie kaum noch seit einer halben Stunde. In dieser halben Stunde war
er hier schon viermal mindestens, alle Auf- und Abgänge schauen gleich aus hier, er weiß es nicht. Er rutscht nicht ab, noch knickt er ein, er trottet also unten dorthin zurück, woher er gekommen
ist und verflucht sein Leben. So ein Leben ist eine Abfolge von Entscheidungen mit Konsequenzen, die du oft nicht im Geringsten zu erwägen imstande bist, aber Annullierungsoption besteht trotzdem
nur selten, denkt er sich, auch nicht kältehalber. Er wandert noch ein paar Stunden so umher, vor und zurück, hinauf und hinunter, im Kreis und dagegen. Er fragt sich, welche Entscheidungen ihn
jetzt hierher gebracht haben, ohne Ausgang, ohne gangbare Alternative, nur mit einem großen Warten, aber die Kälte zersticht die Gedanken. Aber irgendwo oben oder unten, hinten oder vorne,
mittendrin im Warten, versteht er es dann, wie er es wahrscheinlich nie verstand: Der Weg ist das Ziel.
1 F
Wir sind beide Familienmenschen. Solche, die sich bei ihren Familien nicht melden und sich dann andere zusammensuchen und sich dann bei denen nicht melden. Solche, die sich nicht melden bis es zu
spät ist, und dann auch nur vielleicht. Vielleicht sind wir die Manifestation der menschlichen Vereinzelung und der unfruchtbaren Individualität. Eher sind wir aber wohl bloß der tägliche Versuch
einer Erzählung wider die Familie und ihre Frucht, die Schlacht in unseren Köpfen, die die Erinnerung heißt. Und so werden wir uns weiter wehren gegen alles und am allermeisten uns selbst, weil
wir überall die Leuchtschrift sehen, die uns so sehr in den Augen brennt: Die Familie ist alles, was du immer brauchst und niemals haben kannst.