Foto: Luca Maximilian Kunze
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28 – Bébé: Die Bewegung

 

besänftigend zu uns sprachen, und pf!, machte ich, als ich hörte, wie ihre Stimmen vor uns zitterten.

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27 – Bébé: Die Spiegel

 

Nach diesem Tag werden wir keine Spiegel mehr sein, sagte Iris, in denen sie sich ihre Härte durch unsere Zartheit bestätigen.
Rose sagte: Zart!, und machte ein Pf-Geräusch. Ich hoffte, dass es aus ihrem Mund gekommen war, denn die Luft im Wagen war bereits dick genug. Dass sie dazu ihre Faust auf den Tisch schlug und die Faust hart genug war, um den Tisch ächzen zu lassen, sprach dafür.

Nach diesem Tag, sagte Granny Doll, werden wir keine Spiegel mehr sein, sagte Delfina, in denen sie sich ihre Makellosigkeit, Klara übernahm, durch unsere Makel bestätigen.
Ernste Gesichter um ein wehleidiges Stück Holz, auf dem die Stadt vor uns ausgebreitet lag und niedlich aussah mit den Stecknadelköpfen in ihren Straßen und Stützpunkten. Ernst sah dermaßen lächerlich aus, dachte ich und mein Mund musste lachen. Und mein Mund musste lachen, bis wir alle lachten, und das Lachen vibrierte unter unseren Füßen wie ein Kampflied, und Delfina spürte den Gesang durch die Bretter ihrer Kiste, und Klara setzte sich an den Kopf der Kiste wie eine Gallionsfigur, und die Helme der Blumen glänzten in der kräftigen Sonne, und ich ritt auf meinem Löwen so anders als der Zwerg damals auf der Katze, und wir schlossen uns den Frauen an, die die Stadt bereits umzingelten, und zingeln, was für ein Wort, dachte ich, als die Wachen vor den Toren der Stadt

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26 – Bébé: Die Dornen

 

Heute machte das Morgengrauen Sinn. Selbst die Sonne kroch nur langsam in die Höhe. Iris wickelte ihre Haare zu einem Dutt und im Nu saß ihr ein robuster Helm auf dem Kopf. Er passte zu ihrer vernarbten Wange und zum Zweck des Tags. Lily war eingetroffen. Auch sie trug Helm, Narbe und Wut im Bauch. Sobald Rose eintraf, ging es los. Iris, Lily, Rose, dachte ich, irgendwas stimmte nicht damit, Iris, Lily, Rose, murmelte ich vor mich hin. Klara schliff ihre Messer, Granny Doll trug sämtliches Werkzeug zusammen und spitze Gegenstände, Delfina bewaffnete ihre Kiste, und ich besprach mich mit dem Löwen.

Ich hab’s!, rief ich aus.
Was?, fragte er.
Die Namen, sagte ich.
Welche Namen, fragte er.
Iris, Lily, Rose, sagte ich, was fällt dir auf?
Er überlegte. Dann las ich die Antwort von seinem grinsenden Maul ab. Grinsende Großkatzen sehen unheimlich aus, dachte ich und: Dieses Gesicht sollte er sich für später merken.
Warum heißt ihr alle wie Blumen?
Iris und Lily blickten von ihrem Stadtplan auf, der den gesamten Tisch einnahm, über dem der Wolkenhimmel hing und noch immer nicht regnete, weil ihm nicht nach Weinen zumute war, sondern nur nach Donner und Blitz.
Lily grinste Iris an, Iris grinste mich an und ich versuchte das Grinsen des Löwen zu imitieren, doch scheiterte an meinem Namen. Den würde ich ablegen, wusste ich, eine Victoria wollte ich sein nach diesem Tag, eine Medusa, eine Katharina die Große, aber da ging es dann durch mit mir.
Blumen sind schön, zart und können leicht geknickt werden, sagte Iris, das war ihr Plan.
Es hatte alles System, sagte Lily.
Aber Rosen haben Dornen, sagte ich.
Eben, sagte Iris, das haben sie nicht bedacht.
Und der Himmel über der Stadt auf dem Tisch ließ Licht herein.

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25 – Bébé: Der Himmel

 

Das ist ein Rezept, das aus der Not heraus entstanden ist, antwortete Iris.
Wie Fleisch mit Schokoladensauce?, fragte ich.
Ich weiß nicht, ob das eine Verzweiflungstat war, aber es klingt zumindest so.
Sie zündete sich noch eine an und entließ ein Wölkchen nach dem anderen aus einem gespitzten Mund. Die Wölkchen rückten zusammen, weil es sie fror, und spannten dem Tisch einen Himmel darüber. Es war ein freundliches Wetter, denn es regnete nicht.

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24 – Bébé: Der Albtraum

 

Von Babys, die waren wie wir, unzureichend, die herausgezogen wurden und verbannt, von Frauen, die Lauge tranken, um die Kinder, die in ihnen wachsen würden, nicht bekommen zu müssen, von Ammen, die Frauen verpfiffen, die sich Verhütungsmittel besorgt hatten, weil sie um ihr Geschäft fürchteten, von Männern, die dem misstrauten, was ihre Väter vor einer Zeit für sie erschaffen hatten, und von Söhnen in der Überzahl, die bequem weiter glauben wollten daran und die Verräter mundtot machten, von allem, wovon Iris mir auf dem Rückweg erzählt hatte, musste ich träumen in diesen Stunden davor. Ich brauchte Trost und bekam nur Träume. Ich war froh, nicht erwachsen zu werden und gebärfähig, ich mochte Kinder, ich war ja selber eins, aber wie sie benutzt wurden und Frauen auf sie abgestellt, das mochte ich nicht. Ich kroch leise aus der Mähne des Löwen hervor. Frauen besaßen eine hohe Schmerzgrenze, die hatten sie seit Jahrhunderten unfreiwillig geübt, dachte ich, und die, die taten, als tue ihnen nichts daran weh, dachte ich, würden-

Du kannst wohl nicht schlafen?
Iris?
Kannst du nicht schlafen?, wiederholte sie und wedelte ihr Gesicht aus einer Rauchwolke hervor, damit ich sie sehen konnte. Ich schüttelte den Kopf.
Wir haben alle Angst, sagte sie.
Ja?
Aber unsere Wut ist größer.
Das ist das richtige Rezept, sagte ich, als würde ich etwas von Kochen verstehen.

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23 – Bébé: Die Teilung

 

Wir sind viele, sagte Iris.

Und wir nickten.
Wir sind bewaffnet, sagte Iris, aber nur für den Fall.
Wir nickten.
Welchen?, fragte Delfina.
Werden wir angegriffen, werden wir zurückschlagen, sagte Iris.
Es bleibt uns nichts übrig, sagte ich.
Und Delfina nickte.
Wir wollen keine Heldinnen sein, sagte Iris, Helden sind von gestern. Doch sie werden uns nicht geben wollen, worum wir sie bitten, obwohl es uns ohnehin zusteht.
Wir wollen nichts geschenkt, wir wollen fünfzig Prozent, sagte ich.
Und sie nickten.
Ich hatte das bei den anderen gehört, als Iris gepackt hatte. Es klang wie ein Zauberspruch, und ich hoffte, er würde wirken, wenn wir ihn nur oft genug wiederholten.
Wir wollen nichts geschenkt, wir wollen fünfzig Prozent, sagte ich.
Wir wollen nichts geschenkt, wir wollen fünfzig Prozent, sagte Iris.
Wir nickten.
Wir wollen nichts geschenkt, sagte Granny Doll.
Wir wollen fünfzig Prozent, Klara.
Und Delfina nickte.

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22 – Bébé: Das Keks

 

Sie haben auf dich gewartet, ich auch. Sie haben lange gewartet, ich auch, sagte mein Löwe feierlich und ich fiel ihm genauso um den Hals. Seine Mähne war ein weiches Bett und ich wollte mich hinein fallen lassen. Vielleicht würden wir bald für immer schlafen, musste ich denken und der Löwe antwortete mit einem Nein.
Was weißt du schon, dummer Kerl, sagte ich und küsste ihn auf seine sabbernde Schnauze. Er roch das Fleisch, das ich bei den Frauen gestohlen hatte. Das Fleisch musste für ihn sein wie ein Keks für mich. Als er es verschlungen hatte, leckte er sich zufrieden die Schnauze. Er war ein guter Löwe, wusste ich, und wir gingen los.

Die anderen hatten Iris in der Zwischenzeit kennengelernt, sie saß am Tisch und rauchte eine nach der anderen. In der Lacke im Wasserglas knieten Stummel und blickten voll Demut zu ihr auf. Sie drückte einen weiteren auf ihnen aus und erzählte mit einem Gesicht, das ein einziges Geheimnis war, unseren Plan. Ich sah sofort, dass alle begeistert waren von ihr, ich war es ja auch. Mit diesen Frauen ist jede Schlacht zu gewinnen, wusste ich, als ich sie zum ersten Mal sah, jedenfalls sagte ich es mir seitdem auf, unaufhörlich, wie ein Gebet. Du bist froh, wenn du nicht allein bist, wenn Krieg ist. Auch wenn du den Krieg selbst anzettelst.

0221

21 – Granny Doll: Die Wange

 

Es war lange still und wir auch und der Löwe schlief und fraß nicht, wenn er erwachte, und im Dunkel vor den Fenstern heulte das Tier, das es nie geben würde, und warten ist grausam, wenn es das einzige ist, was man tun kann, rotierte es in Dauerschleife in meinem Kopf, während wir auf Bébés Rückkehr warteten und ich doch bloß mein geschrumpftes Spiegelbild in der Fensterscheibe sah.

Und dann aber, plötzlich doch irgendwann, kletterte eine gebückte Gestalt durch mein Gesicht, direkt über die Nase über den Wangenknochen herab, sie kam, mitten in der Nacht, und war nicht allein, eine Frau war bei ihr, wie Bébés erwachsene Ausgabe. Bébé hat noch nie zu uns gepasst, habe ich gedacht, und das hat sie uns nie spüren lassen. Die Frau schlüpfte aus einer Kapuze. Ein Regentropfen rutschte die klaffende Narbe auf ihrer Wange hinab und sprang von ihrem Kinn ab wie von einer Klippe. Sie trug enge lederne Schnürschuhe und ihre Fußballen balancierten auf einem kleinen Podest, der Absatz erschien mir unbequem, aber sie stand fest und breitbeinig im Raum, ihr Stand war eine Kunst, sie gefiel mir und ich wollte mehr davon.

Bébé ließ uns ohne ein Wort mit ihr allein und lief zu ihrem Löwen, den wir bald wieder kauen hörten. Die Frau blieb bei uns. Delfina rutschte nervös mit ihrer Kiste vor und zurück, Klara kriegte ihren gaffenden Mund nicht zu und ich versuchte mich in Konversation:

Wir sind so froh, begann ich, es klang verzweifelt, und ich schämte mich dafür.

Bébé hat uns gefunden, sagte sie, und ihre Stimme klang nach Zigarettenrauch. Sie setzte sich an den Tisch neben Klara und Klaras fehlende Gliedmaßen schienen ihr keinen kommentierenden Blick wert zu sein, sie gefiel mir immer besser und ich wollte, dass wir ihr gefallen.

Das ist Klara, sagte ich, Angenehm, hallo, sagte Klara, und das ist Delfina, früher Elfi, fuhr ich fort, aber eine Elfi ist kein Zirkusstar, hat Jerry gesagt, sagte Delfina, eine Elfi verkauft Armbändchen aus Gänseblümchen, hat Jerry gesagt, führte Delfina fort, Jerry, das war der Zirkusdirektor, sagte ich, weil die Frau verwirrt dreinsah, sie sagte, Ach so, und: Ich freue mich, und da erst bemerkte ich, dass der Zug um ihren Mund nicht Verwirrung war, sondern Freude, und wenn nicht gerade Freude, so doch freundliches Amüsement, sie gefiel mir, und sie gefiel mir immer besser. Sie griff in ihre Manteltasche, steckte sich eine Zigarette in den Mundwinkel und fragte: Darf ich? Wir nickten synchron und die Zigarettenspitze flackerte.

Zu Hause wurde es mir verboten zu rauchen, sagte sie, ich sollte gesund bleiben für das Baby.

Du hast ein Baby?Nein, aber es waren immer welche in Planung, sie lachte laut auf und erinnerte mich an Klara, also nicht, wenn’s nach mir gegangen wäre, fügte sie hinzu und die Zigarette leuchtete.

Dann kam Bébé, sie kam auf ihrem Löwen, und der Löwe sah irgendwie fröhlich aus. Wahrscheinlich ist so ein Tier nur dann interessant, wenn man es kennt.
Wir sind da, sagte Bébé, der Löwe brüllte, es kann los gehen.

Und das ist der Plan, sagte die Frau, und ich musste vor Aufregung husten.

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20 – Granny Doll: Das Warten

 

Es ist noch immer zu still. Auch wir. Der Löwe im Käfig schläft. Und frisst nichts, wenn er wach ist. Im Dunkel vor den Fenstern heult das Tier, das es nicht gibt. Warten ist grausam, wenn es das einzige ist, was man tun kann.

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19 – Granny Doll: Das Prosit

 

Jerry hat uns was übrig gelassen, wir haben noch angestoßen.
Auf unsere Retterin! Auf Bébé!, haben wir gerufen.

Und Klara: Na dann Prost!
Wird etwas Trauriges geschehen, sollte vorher gelacht werden.
Wir haben Bébé in der Nacht gehen lassen. Uns bleiben noch zwei Tage, dann fallen wir auf.

Jetzt ist alles still. Auch wir, niemand spricht. Der Löwe im Käfig schläft. Und im Dunkel vor den Fenstern heult ein Tier, das es gar nicht gibt. Wellenförmig. Wie eine Sirene.

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18 – Granny Doll: Der Abschied

 

Dass sie auf dem Weg nach Hause sei. Dass sie bei ihrem Vater im Büro gewesen wäre, um ihm zu sagen, dass die Mutter in den Wehen liegt. Dass sie hoffe, dass es endlich ein Brüderchen wäre, sie freue sich schon so auf ein richtiges Brüderchen. Dass sie nun dringend heim müsse und sich entschuldige, dass sie ihnen Umstände gemacht habe. Dass sie den Herren noch einen guten Abend wünsche und sich herzlich dafür bedanke, ihr den Weg gezeigt zu haben, sie habe ihn fast verloren gehabt.

 

Hast du verstanden?, fragte Klara.

 

Verstanden, sagte Bébé, schlug die Schuhe aneinander und hob ihre Hand an die Stirn.

 

Delfina quietschte mit den Rädern ihrer Kiste vor und zurück und ich klatschte so laut, dass mir die Handflächen brannten, wir waren stolz auf unsere Bébé und es war ein feierlicher Augenblick. Und Klara, dachte ich, hat alles, was sie nicht in den Händen hat, doppelt und dreifach in ihrem Hirn. Ihr Kopf müsste viel größer sein. Als das Training für den Botengang abgeschlossen war, wollte Bébé kurz allein gelassen werden. Wir standen vor dem Wagen und blickten ihr nach. Sie hatte den Gang eines Mädchens. Und dann hörten wir sie flüstern. Kurz darauf den Löwen. Wie er dunkel heraussprach aus seinem großen Maul. Ich schaute mich zu Klara um und Delfina, doch sie schienen nichts bemerkt zu haben. Du spinnst, Granny Doll, jetzt wirst du wirklich alt, war ich versucht zu sagen. Aber ich war mir so sicher, dass ich ihn gehört hätte, da sagte ich mir einfach: Granny Doll, du hast immer schon besser hingehört als die anderen.

0217

17 – Granny Doll: Die Botin

 

Zu mir?

Ganz genau zu dir.

Was ist mit mir?

Du musst da raus.

Was?

Du musst für uns da raus gehen. Du musst diese Frauen finden und mit ihnen reden. Du musst ihnen unsere Situation schildern und sie werden dir zuhören.

Warum glaubst du, dass sie das tun?

Weil sie wissen, wie es ist, wenn man sich nicht rühren kann.

Und warum ich?

Schau uns an.

Was?

Du bist ein hübsches Mädchen, Bébé, an dir ist alles dran. Du wirst nicht weiter auffallen.

Muss ich?

Klaras Antwort war ein hartes Schweigen. Mich überkam ein leises Mitleid mit unserer Bébé, und auch ein wenig Angst, aber ich wusste, dass Klara recht hatte. Bébé war unsere einzige Chance. Und ich wusste, dass sie geschickt war und schlau, wenn sie wollte.

Darf ich den Löwe-?

Bitte?

Den Lö-

Ja, klar. Weil da draußen alle auf so einem Tier herumreiten, sagte Klara spitz, riss ihren Mund weit auf, ihr unheimliches Lachen drückte sich bereits aus ihrem Bauch hinauf und wollte an ihrem Gebiss vorbei, als sie in unsere zusammengezwickten Gesichter blickte und sich erinnerte, dass dieses Lachen nie für uns gedacht war. Sie klappte ihren Mund zu, entschuldigte sich und wir falteten uns auseinander. Manchmal konnte Bébé aber wirklich dumm fragen. Vielleicht, weil sie mit ihrem Namen nie so recht erwachsen werden kann. Delfina hat mir einmal vorgerechnet, dass Bébé schon viele Jahrzehnte alt sein müsste. Die Person, die ihr den Namen gegeben hat, wusste, was sie tat. Ein hübsches Mädchen, das einen Löwen dressiert, ist für das zahlende Publikum ja noch viel interessanter als bloß ein Freak, hübsche Mädchen mochten viele.

Na gut, sagte sie und stand auf, ich werde sie suchen.

In diesem Moment sah sie direkt erwachsen aus, dachte ich.

 

0216

16 – Granny Doll: Die Freundin

 

Die Erde war angenehm weich und Bébé und ich konnten sie mühelos ausheben. Wir mussten die Wölfin hineinschieben in das Loch, sie war von ihrem Unglück so schwer geworden, dass wir sie nicht hätten heben und hineinlegen können. Das Wölfchen konnte Bébé dann alleine nehmen. Das Loch mit den braunen Gestalten sah leer aus in der dunkelgrauen Nacht, nur die Spitze an der Brust der Wölfin leuchtete im Mondlicht, als hätten wir sentimental ein hübsches Kleid zu Grabe getragen. Aber sentimental waren wir, das konnte niemand leugnen, die Wölfin war jeder von uns eine gute Freundin gewesen, doch Klara am meisten, weswegen sie den Mond anheulte wie ein trauriger Hund, als wir zuschaufelten. Ich fürchtete, die Wachen könnten das bis vor die Stadt hören, doch ich hätte nicht so verroht sein können, Klara zu verbieten, um die Wölfin zu weinen. Als wir zurück zum Wagen gingen, rissen wir schwerfällig Langlaufspuren hinter unseren Füßen hinein ins Gras. Selbst Delfinas Seifenkiste quietschte in Moll. Wir betraten den Wagen, Delfina hob ich über die Leiter, weil ihr die Kraft in den Armen fehlte, setzten uns um den Tisch und schwiegen. Eine lange Zeit. Atmeten schwer. Und gläsern unsere Augen. Ich konnte das Stromnetz, das über die ferne Stadt gespannt war, säuselnd vibrieren hören. Klara sammelte sich als erste und sagte etwas, das wir nicht verstehen konnten. Sie räusperte sich und wiederholte: Und nun, Bébé, zu dir.

0215

15 – Granny Doll: Die Plane

 

Ich weiß nicht, ob es war, weil Klaras Hunger durch die größere Ration kleiner geworden war und sie besänftigt, oder weil sie fand, es wäre an der Zeit, da die Wölfin nun zu stinken begänne, aber sie hat uns gezeigt, wo sie sie und ihr Kind versteckt hatte, als Jerry mit der Idee gekommen war, die tote Wölfin auszustopfen, einzubalsamieren und weiterhin vorzuführen in der Manege, mit dem toten Wolfskind in ihrem Schoß, als abartige Pietà. Dass Klara jemand zur Hand gegangen sein musste, das habe ich immer gewusst, und es wird wohl unsere Bébé gewesen sein, auch wenn sie mit ihrem pausbackenen Gesicht glaubhaft die Überraschte mimte, als wir die Plane wegrollten und die Augen scharf stellten und hinter dem Holz die haarigen Körper auszumachen waren, von denen kleine Tierchen zwischen den Ritzen der Bretter in die Wiese flirrten, als hätten sie sechs Beine oder acht, und damit vier oder sechs mehr als wir anderen, oder sechs oder acht mehr als Delfina. Wir haben das Holz in die Wiese gelegt, Brett für Brett, und die Wölfin und den kleinen Wolf, wie aus einer Lawine hervor, geborgen. Als ich an Lawinen dachte, kam mir Schnee in den Sinn und schlagartig hab ich den Winter vermisst. Dem Wölfchen hätte der Winter gefallen, habe ich denken müssen, es wäre gewachsen und größer geworden und hätte Engelchen gemacht im Schnee. Als ich mich so beim Träumen erwischt habe, habe ich mich sofort zurückgepfiffen. In die Vergangenheit träumen ist die falsche Richtung.

0214

14 – Klara: Die Frau

 

Angefangen hat alles mit einer, die schreiend aufsprang bei Tisch, die Platte mit den Bratenscheiben auf den Boden fegte, das Weinglas zerbrach und sich mit der Scherbe die Wange teilte. Von unter dem rechten Auge schräg bis zum Ohr. Für die Kinder war das kein angenehmer Anblick, aber für den Mann noch weniger. Er musste es melden, er musste sie abliefern und die Beamten haben sofort gesehen, wo das Problem liegt. Die Narbe hätte man ja noch flicken können, aber die Kinder. Streik?, hab ich gefragt. Und Bébé hat gesagt, Widerstand. Und dann?, hat Delfina gefragt, wie ging’s weiter? Sie wurde weggesperrt, hat Bébé gesagt. Weil sie ihren Job nicht machen wollte, hab ich ergänzt. Und dann? Kurz darauf war sie zu zweit, zu dritt, und als sie zehn waren, sind sie ausgebrochen. Ausgebrochen?, hab ich gefragt. Bébé hat gesagt, und in Luft aufgelöst. Wow, hat Granny gesagt, und ich hab mich ihr angeschlossen. Irgendwo da draußen sind also Frauen, die nicht mehr wollen, was sie müssten? Exakt, hat Bébé gesagt, während sie ihrem Löwen die Mähne kämmte. Für seine Haare beneidet ihn jede von uns. Ich hab mich von seinem blonden Schopf weggedreht und aus dem Fenster des Küchenwagens die Lichter der Stadt funkeln sehen. In der Nacht, die zwischen uns und der Lichterkette liegt, sind sie und haben etwas vor. Dann hat mein Magen geknurrt, weil er an den Braten denken musste. Und Granny hat mir einen Bissen von ihrem Trockenfleisch geschenkt.

0213

13 – Klara: Das Foto

 

Bébé hat es im Separee gehört. Bei einer ihrer letzten Vorstellungen, bevor Jerry verblutete. Einer habe ein Foto mit dem Löwen darauf gewollt, Bébé den Apparat bedienen müssen. Sie habe ihrem Löwen gut zugeredet, der habe sich hingelegt, ihn aufsteigen lassen und sich langsam erhoben. Wie ein reitender Zwerg habe der Mann ausgesehen und die anderen hätten gelacht.
Was gibt’s da zu lachen?
Du bist klein, seit deine Frau auf und davon ist.

Das ist der Löwe, ihr Spaßvögel, ’ne optische Täuschung.
Warst jedenfalls schon größer.
Ein Löwe ist bitte keine Katze, habe er wiederholt und beleidigt absteigen wollen. Bébé habe dem Löwen Kommando gegeben und dem Mann von unten die Hand gereicht. Er habe sie ausgeschlagen und war beim Absprung eingeknickt und auf die Knie gefallen. Ein zweites Mal habe sie ihm nicht helfen wollen. Versteh ich. Er habe sich aufgerappelt und die Hosenbeine abgeklopft. Leises Lachen sei von ein paar Fäusten geschluckt worden, hat Bébé gesagt, und der Mann habe sich durchgestreckt, um größer zu wirken. Auf dem Foto reite trotzdem ein Zwerg auf einer Hauskatze. Meine Güte, hab ich ausgerufen, zuerst kriegst du keinen Ton raus und dann kriegt jedes Detail eine eigene Szene! Ich bin ja nicht mit Grannys Talent gesegnet und hab ein wenig die Geduld verloren: Bitte zum Punkt! Delfina war freundlicher, aber ganz auf meiner Seite: Und was hat das mit seiner Frau zu tun? Nur Granny wie immer die Geduld in Person.

0212

12 – Klara: Die Wut

 

Es wird eine wütende Armee geben. Wir müssen versuchen uns ihr anzuschließen.

0211

11 – Klara: Die Chance

 

Jetzt ist er wirklich tot. Bisher hab ich mich geduckt, wenn ich an ihm vorbei ging. Ein Reflex von davor. Hab mich erst erinnern müssen, dass er nicht bloß schläft. Jerry hat immer fest geschlafen. So fest wie er zuschlagen konnte, so fest konnte er schlafen. Hat einander bedingt irgendwie. Hab ich also meinen Hals wieder ausgefahren und aufgeatmet. Die Luft ist jetzt nicht mehr so dünn, obwohl’s uns noch viel mehr an den Kragen geht. Seltsamer Widerspruch. Dem Löwen hat er geschmeckt, sagt Bébé, und ich hab’s ja selber gehört. Sie und Granny haben Jerry aus der Hose geschält und Delfina hat sich aus ihrer Kiste gestemmt. Sie haben ihn in die Kiste gestopft und zum Käfig geschoben. Es war höchste Zeit, die Gitterstäbe waren nur noch aus Papier. Dann hab ich auch schon das Schmatzen gehört. Mir ist direkt das Wasser im Mund zerronnen. Aber seitdem die Wölfin tot ist, hab ich kaum mehr Hunger. Seit Jerry noch weniger. Und das ist gut, weil die Lebensmittelkarte gibt nichts mehr her. Schlecht ist: Mit den Resten kommen wir nicht mehr weit. Ich hab angedeutet, dass wir ja noch den Löwen haben. Das hat Bébé gar nicht amüsiert. Dafür ist sie mit einer Andeutung rausgerückt. So talentiert sie mit ihrem Löwen ist, so untalentiert ist sie mit ihrem stummen Maul. Aber wenn stimmt, was sie sagt, könnte es sein, dass wir eine Chance haben.

0210

10 – Klara: Der Hase

 

Wie eine Schlange einen Hasen, nur, dass ein Löwe den Hasen klein beißt und dann schluckt.

0209

9 – Klara: Die Berge

 

Wir werden es schon schaffen ohne ihn. Wir kriegen das schon hin. Wir brauchen bloß einen Plan. Delfina meint, wir könnten mit einem der Wagen davonfahren. Ich hab gesagt: Der Plan muss besser sein, als nur in der nächsten Kontrolle zu enden. Bébé hat gesagt: Verenden. Ich hab gesagt: Mit unseren Ausweisen kommen wir hier nicht raus. Und wenn ja: wohin? Granny hat gesagt, dass es früher Berge gab, voller Stein und Wald. Sind aus dem Land geschossen hinauf in den Himmel, haben ihn spitz und hart angekratzt und lange Schatten geworfen. Dort haben sich Menschen versteckt. Dann wurden sie flachgesprengt und die Steine zu Städten verbaut und zwischen den Städten patrouilliert. So einen Berg könnten wir jetzt brauchen. Aber als erstes müssen wir Jerry loswerden. Bébé hat gesagt: Den kriegt der Löwe. Hat ihn auch gleich auf Hunger gesetzt. Starrt uns immerzu an jetzt. Und die Gitterstäbe scheinen umso dünner, je lauter er wird. Ich bin für bald füttern. Bébé sagt, wir müssen noch warten. Damit er ihn ganz frisst.

0208

8 – Klara: Der Verlierer

 

Jerry ist tot. Endlich. Früher oder später hätt ich mich vertan und ihm ein Messer zwischen die Augen geschossen. Vor allen. Und eher früher. Wär nicht nur sein Tod gewesen. Meiner wohl auch. Zum Glück ist es ohne Zeugen passiert. Ich leb ja doch zu gern. Granny wollt noch in die Stadt. Sagen, dass es ein Unfall war. Vielleicht hätt er’s geschafft. Aber ich hab gesagt, Granny, der hat uns fertig gemacht. Und mit der Wölfin hat er begonnen. Sie fehlt mir. Ich glaub, uns allen. Und das Wölfchen war nicht mal so hässlich, obwohl Jerry die Verwandtschaft nicht hat leugnen können. Natürlich hat er aber. Sein Rückgrat haben sie ihm wohl beim Boxen gebrochen. Er war immer schon ein Verlierer. Deshalb war er ja kurz vor pleite. Von wegen Villa irgendwann. Granny hat ihn reden lassen, wenn er wieder geträumt hat laut. Aber ich hab’s ihm immer gesagt, dass das nichts wird. Obwohl er sich mit uns eine goldene Nase verdient hat. War aber schon vom Saufen rot. Aus dem wär nie ein feiner Herr geworden. Wie die in den Städten. Mit ihren Frauen und Kindern, laut Ausweis perfekt. Das hat er doch sehen müssen, dass er lächerlich wirkt im Direktorenaufzug mit seinen Freaks. Dass sie über ihn nicht weniger lachen als über uns. Dass zu ihm keine Stadt passt. War genauso ein Aussätziger wie wir. Mit dem wollt niemand. Kann froh sein, dass er uns. Und überhaupt:

0207

7 – Delfina: Die Wölfin

 

Stundenlang lag Jerry in seinem Blut und wurde immer weniger. Er verlangte nach Wasser und wollte gar nicht aufhören durstig zu sein. Granny Doll zog das Messer aus seinem Bauch, damit es schneller ging. Er fragte ein letztes Mal nach der Wölfin, als wolle er noch vom Sterbebett aus die Präparation veranlassen. Aber Klara blieb stur und verriet nicht, wo sie ihre und die Leiche ihres Kindes versteckt hielt. Als die Wölfin den Ballon verschluckt hatte, wollte sie nicht sagen, von wem er war. Wir wussten es ohnehin. Und als sie den Ballon aus sich heraus presste und er ein Kind war, mit zwei Ärmchen, zwei Beinchen, aber so haarig wie sie, erkannten wir unter dem dichten Flaum die Züge von einem, der vor Jahrzehnten Jerry gewesen sein musste. Vielleicht erinnerte mich sein Bluten wieder an das der Wölfin und sein Röcheln an ihr erstickendes Kind. Wir haben nach Hilfe gefragt, doch Hilfe hätte gekostet und das waren wir Jerry nicht wert. Dass wir Jerry nicht beim Überleben halfen, fühlte sich irgendwie richtig an.

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6 – Delfina: Das Messer

 

Lass mich nicht sterben, lass mich nicht-- Lass, mich, nicht. Jedes Wort ein Brocken Blut, der durch die Luft flog und auf dem kahlen Wagenboden so lustig zerplatzte, als hätte er nichts mit dem Sterben zu tun. Und ich kann ihn tatsächlich nicht lassen. Ich sah ihn, als ich einschlief, als ich schlief, und als ich erwachte, war er auch wieder da, obwohl ich den Schlaf aus den Augen krümelte, er war’s, ich schwöre. Das hätten wir uns ja denken können, ein Polterer wirft noch in der Stille sein Echo. Das Messer, das hat Granny aus Notwehr aus dem Block gezogen, sie ist nicht damit auf ihn los, sie ist doch viel zu klein dafür, er ist hinein gerannt, er hat sich längst nicht mehr ausstehen können. Aber das wird uns niemand glauben wollen, dass das Selbstmord war. Er war der Halter und wir seine Freaks, wir haben ihm unser Leben zu verdanken, und wir haben nicht schlecht gelebt unter seinem Kommando, nicht immer jedenfalls. Er hätte einen besseren Tod verdient, denn gestorben ist er nicht schön, hat viel zu lange gedauert, für uns alle. Anders als bei der Wölfin. Bei ihr zu sein, das hat uns gut getan.

 

0205

 5 - Delfina: Der Tod

 

noch Stunden nach der Vorstellung im dreckigen Gelächter plätscherte, wie auf einem unversöhnlich brodelnden Meer. Granny Doll betrat den Küchenwagen in dem Moment, als Klaras Torso sich unter Jerrys Fäusten in ihren Stahl hinein duckte, um ihm mindestens die Hand zu brechen mit sich. Die Erfahrung hatte Granny Doll gelehrt, dass es nie zu früh war, um einzuschreiten, wenn jemand jemanden schlug, sondern meistens zu spät. Weswegen sie Aufgehört! rief, Sofort aufgehört!, und nicht etwa Aufhören! Sofort aufhören!, weil sie das mal lieber nicht gesehen haben wollte, vermutete ich, mich nun übrigens unter die Anrichte rollend. Vielleicht hätte Jerry sich gewünscht, den Kaufvertrag für einen anderen Krüppel unterschrieben zu haben, statt für die kleinwüchsige Alte, die motorisch jedoch tipptopp war. Aber Jerry prahlte gern und Granny Doll konnte wunderbar auf Durchzug schalten. Sie konnte kochen und fressen, das konnte er. Außerdem sah sie abgefahren genug aus, um in den Shows zu assistieren. Hätte Jerry überlebt, wäre Granny mit Sicherheit geholt worden, und das hätte ihren Tod bedeutet. Mir ist lieber, dass Granny noch da ist, selbst wenn wir jetzt einen guten Plan brauchen.

 

0204

4 - Delfina: Die Rosen

 

Es klatschte, pfiff, trommelte füßlings auf den Boden und einer schrie: Freaks! Freaks!, eine andere sprang auf, verdoppelte: Freaks! Freaks! und ergänzte: Monster! Ihr Monster!, während Klara mit ihren Füßen, die ihr treue Hände waren, rote Rosen vom Boden pflückte, die aus den dicht gedrängten Sitzreihen in die Manege geworfen wurden, sie zu verhöhnen. Doch Klara zog ihren tadellos geschminkten Mund zu einem Hohn und Spott verschlingenden Schlund und lachte, lachte laut, während sich das Publikum über sie amüsierte, und lachte, lachte lauter, während das Publikum sich irritiert zu fragen begann, worüber es sich eigentlich so köstlich amüsierte, und lachte, lachte am lautesten, während das Publikum ans Ende seines Amüsements gestoßen war mit der Stirn voraus, vor Schreck verstummte, von den Sitzen sprengte und zwischen den Zirkuswagen über die vom Regen aufgeweichte Wiese zurück floh in seine Stadt. So kam es, dass Klara und ich die letzte Shownummer von Jerrys Programm geworden waren und Klara

0203

3 - Delfina: Der Stahl

 

Nur Klara blieb sitzen, wo sie war. Nicht einmal die Sektflöte in ihrem Fuß zitterte. Die Klara hatte den Jerry längst schon entmachtet und ihre Haut schien unter Jerrys Hand kalt zu werden und Stahl. Es tut mir mehr weh als dir, hat Jerry zwischen den Schlägen immer wieder gesagt, und ich wusste, dass er nicht log, sondern tatsächlich vor Schmerzen weinte. Der Stahl würde sich auf ihrem Rücken grün und blau färben, denn ihr schönes Gesicht brauchte er unversehrt für seine Shows. Das Publikum, das ihn gut bezahlte dafür, gierte und geierte nach dem Anblick, der sie ihm war, und ihr jetzt an Jerry adressiertes Gelächter hatte Klara jahrelang an den Gaffern trainiert und perfektioniert. In ihrer Nummer musste sie mit Messern nach mir werfen, die ich auf eine Drehscheibe gespannt mich nicht rühren konnte, und das Publikum war erregt von Klaras armloser Wurfsicherheit und meinem Mut, doch vor allem von der Armlosen Wurfsicherheit.

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2 - Delfina: Das Malheur

 

Beim Gestank waren wir uns gleich einig, aber niemand sagte auch nur ein Wort. Ich habe mich geräuspert, Bébé hat gemacht, dass die Peinlichkeit ein wenig von ihrem Löwen zerbrüllt wurde und Klara hat sich an ihrem Gelächter verschluckt und wäre fast zum ersten Mal gestorben an diesem Tag, weil ihr das Lachen die Luft nahm, weil ihr zu lachen wichtiger war als bloß nichts zu riskieren. Räuspern, Brüllen, Lachen, zusammen war das ganz schön laut. Und als der visionierte Knall in Jerrys Kopf verstummt war, widmete sich der physische Ausdruck seines Gefühls unserer Reaktion auf sein Malheur. Mit den winzigen Schritten eines Leichtgewichtboxers tänzelte er, die Fäuste vor seiner Brust vor und zurück schlagend, auf uns zu. Von Nachteil für ihn war, dass er trank und es auch an diesem Tag getan hatte und das Geschick des Boxers längst in ihm drin ertrunken war. Und dass die Hose warm an seinen Beinen klebte auch. So konnte ich von einer Ecke in die andere kriechen und Bébé ins sichere Maul ihres Löwen steigen.

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FREAKINNEN
 

1 - Delfina: Die Hose

 

Dass Jerry einen Schlagarm hat, das hatte ich schon länger vermutet, aber ich konnte es nie beweisen und Klara hatte nie zugegeben, dass sie es weiß. Jemand, die keine Arme hat, mochte vielleicht nicht sprechen davon, was man mit Armen alles zu tun imstande war. Also hat sie die Sektflöte zwischen die große und die Zeigezehe geklemmt, Na dann Prost! gerufen und gemacht, dass ihr der Hals prickelt und die Zunge davon lacht. Wenn Klara lachte, war eine Göttin im Haus. Doch der Jerry hatte seine Klara längst entthront und ihr Lachen hat ihm lange schon aus den Ohren geblutet und hat ihm jetzt zum ersten Mal wie eine Gewehrkugel so richtig in den Kopf geschossen. Da konnte selbst einem Direktor Jerry was in die Hose gehen.