Ihr wollt ein Klischee kommentieren? Das geht im > Wartezimmer
This is a story of a boy and a girl. Er würde am liebsten springen, aus großer Höhe, wollte aber keine grausame Sauerei auf dem Asphalt hinterlassen, das verriet er mir, und ich hatte sofort die Idee mit den farbgefüllten Wasserbomben in den Jackentaschen. Oh nein, rief ich, es ausgesprochen und zugleich den fatalen Fehler bemerkend, ich wollte dir auf keinen Fall den schönen Floh ins Ohr setzen, aber natürlich war es da schon längst zu spät.
dreißig. Städte, Dünen.
ich träume verschachtelte Räume. da sind Ebenen, Öffnungen, man weiß nicht, wohin die Treppen führen, wieviele Zimmer es gibt, wie lange die Wände noch den Stürmen standhalten.
es gab ein Loch im Boden, groß, wie ein Innenhof sah es aus, im Raum. die Ziegel bröckelten. ein Mädchen hatte Angst vor einem Einsturz. nichts würde einstürzen, das spürte ich, die Mauern sind stabil. wie das Loch in den Boden gekommen war, weiß ich nicht, es war schon alt, es war vielleicht schon immer da.
ich habe ihn in der Wüste gefunden. geortet habe ich ihn, gesehen, von oben, von oben aus dem Himmel oder auf einem Bildschirm. als Punkt in der Landschaft sah ich ihn, wie er in die falsche Richtung lief. ich sagte: dreh dich jetzt nach links, dann ist es ein Marsch von einem Tag und du kommst nach Taschkent, von dort aus gibt es Flugzeuge, du kannst dann zurück kommen. und dann habe ich gewartet und er kam zurück, schließlich kam er zurück zu mir und wir schlossen uns in die Arme, mit unseren Blicken. ich habe dein Buch in den Dünen gefunden, sagte ich, mit der Nachricht, dass du in die Wüste aufbrichst, da bekam ich Angst und suchte nach dir. das war wichtig, sagte er, du hast mich gerettet, ich wäre beinahe verloren gegangen.
Räume, Räume, immerzu die Suche nach einem Raum, wo niemand ist, nach einem Bett und nach Innigkeit. so viele Menschen in dem Haus, sie trinken Bier, sie kommen und gehen, gehen auf den Treppen, die irgendwo hin führen und plötzlich stehen sie wieder vor uns und wir grüßen und flüchten uns weiter davon. du sprichst mir an die Schläfe, sagst: wollen wir es tun? ich sage: ja, gut, lass es uns tun, wohin jetzt. wir gehen nah am Abgrund, an der Kante des großen Loches im Boden, der den Raum öffnet, das darunterliegende Geschoß mit dem darüberliegenden verbindet, wie ein Innenhof. hier und da bröckelt es, von draußen hört man die Sandstürme. das Haus steht am Rande einer Stadt, mitten in der Wüste, die Menschen haben darin Schutz gefunden. wir huschen um eine Ecke, fort von vertrauten Blicken, da ist ein Raum und ein Bett darin und ich schließe die Tür und du ziehst an meiner Hand, umfasst meine Tailie, ich versuche noch, den Schlüssel im Schloss zu drehen, die Tür abzusperren, der Griff misslingt, denn du hast mich von der Tür weg gezogen, wie eine Welle, wenn sie am Sand zieht, um ihn in die Tiefe zu spülen. schon bist du über mir und ich fühle, wie leicht du bist, wie zierlich. deine Haut ist blass, dein Haar ist hell, dein Körper hat beinahe kein Gewicht auf mir, deine Augen drängen nicht, und ich denke: du bist wie ich, wie seltsam das ist, wie ich bist du, nur in hellblau.
er nimmt den Lederbeutel an sich, das Buch darin, die Nachricht, Wüstensand rieselt. ich bleibe nun hier, sagt er, in der Stadt, ich habe Lust, zu bleiben. vielleicht heirate ich das Mädchen, falle einfach so vor ihr hin, auf die Knie, und bitte sie, warum auch nicht, es ist so leicht. und er besteigt ein Auto, winkt mir und fährt davon, um das Mädchen zu treffen. ich denke: nun, gut, er ist gerettet und wohlauf und die Tage gehen weiter ins Land, ziehen über Städte und Dünen, Städte oder Dünen, es gibt keinen Unterschied.
Dann schiebt er seine Zungenspitze aus dem leicht geöffneten Mund. Eine seltsame Bewegung. Nicht wie üblich, so, wie ein Mensch das manchmal macht, um sich über die Lippen zu lecken, oder um eine freche Geste auszuführen. Es erinnert mehr an eine Schlange, die ihre Zunge benutzt, um Spuren in der Luft zu wittern.
Ich frage mich, was er denkt. Ich frage mich, welche Bilder ihm durch den Kopf jagen. Ich frage mich, ob er meine Unsicherheit und meine Erregung schmecken kann.
siebenundzwanzig. wollen.
willst die Sterne ergreifen.
weinst und schreist, verzweifelt
streckst die Hände in die Höhe und erreichst doch nur wieder die Zimmerdecke.
sechsundzwanzig. der Blinde.
Wir werden einen Blinden beauftragen, alles zu verbrennen, woran unser Herz hängt. Wir wollen uns befreien, ist es nicht so? Wie oft haben wir uns schon zu trennen versucht, von den löcherigen Tshirts und den zerbrochenen Schneekugeln. Deine Fotos und deine Briefe an mich, stapelweise, in Regalen, in Schubladen und in Schuhkartons. Man sagt ja, in dem Augenblick, wo ein Foto entsteht, sind die Personen auf dem Foto schon tot. Ist das nicht gemein? Ich werde einen Blinden bitten, alles zu verbrennen. Ich werde ihn mit allen Dingen allein lassen, werde weggehen, nicht dabei sein, wenn es passiert. Der Blinde sieht die Toten auf den Fotos nicht. Ich komme zurück, da wird alles schwarz sein. Dann nehme ich den Blinden bei der Hand und führe ihn zu dir.
fünfundzwanzig. Diese Szene spielt in einem Café.
Die Tischbeine hier stehen viel zu eng bei einander.
Ein junger Mann mit niedrigen hellbraunen Loafers und roten Socken erregt meine Aufmerksamkeit.
Meine Augen sind müde. Ich will nicht mehr unterscheiden müssen. Früher fand ich Regen romantisch, später melancholisch, jetzt ist er mir so gut wie egal.
Diese Szene spielt in einem Café, im ersten Bezirk, in Wien. Mein Bett, meine Höhle, mein Nest, ist weit weg von hier, ich muss noch weit fahren, um es zu erreichen. Das macht mich traurig und erfreut mich, gleichermaßen. Alles unterliegt meinem Wollen. Ich vergesse es nur, immerzu, das ist das Problem.
Als der junge Mann mit den hellbraunen Loafers aufsteht um zu gehen, bewegt sich meine Hand, als wäre sie nicht meine Hand, ich fühle sie nicht. Ich sehe mir den Arsch des Mannes an. Er zieht sich an und geht hinaus.
Währenddessen verschwindet ein alter Mann vom Nebentisch, ich war abgelenkt. Ich bin erneut abgelenkt, da taucht der alte Mann wieder auf.
So wünscht man sich das doch oft.
vierundzwanzig. über Lyrik.
Echoraum. arbeiten.
singende Eigenschaften.
Lagebericht: Zwiespalt.
nicht zwingend reisen.
dreiundzwanzig. Die Quelle
kennt das Mündungsdelta nicht.
zweiundzwanzig. der Hoden.
Tag 170 von 183.
Mein Arm schmerzt schon seit mehr als einer Woche elendiglich. Die Schwellung des Gewebes ist mittlerweile zurückgegangen, doch der eigentliche Herd der Infektion ist immer noch da. Es ist ein hochempfindlicher Gupf in der Größe eines Hodens. Meine schrecklichsten Vermutungen gehen in Richtung Eiterkammer. Ekelhafte Vorstellung. Auf meine angsterfüllte Frage, ob man, wenn es nun solch eine Kammer sei, mit einer dicken Nadel hineinstechen und das darin Befindliche ausdrücken werde müssen, hieß es, hochdosierte Breitband-Antibiotika würden es schon erledigen. Meine Hoffnung, dass das noch passieren wird, schwindet von Tag zu Tag. Das Ding, was auch immer es ist, schmerzt wie ein Hornissenbiss aus der Hölle. Ich denke ernsthaft darüber nach, mir eigenmächtig eine dicke Nadel in den Eiterhoden zu stechen, aber ich habe Angst vor dem Schmerz und einem Fehler. Ich wünschte, es wäre jemand da, der bei dem hirnrissigen Manöver eine beruhigende Hand auf meinen Rücken legen würde. Jemand, der mir kommentarlos, einfach nur durch seine Anwesenheit beisteht. Jemand, der nicht an mir zweifelt und mir ein Bisschen meines Selbstzweifels abnimmt. Dann würde ich meine innere Stärke besser spüren, mein Urvertrauen, alles schaffen zu können, alles richtig und nichts falsch zu machen. Gerade davon ist im Moment so wenig da.
Ich wünschte, das Ding würde einfach aufplatzen. Damit könnte ich am Besten umgehen. Ich bin es gewohnt, ständig zu bersten und die Risse meiner Fassade zu reparieren. Schlimm wäre es, wenn ich es jemand anderen machen lassen müsste. Ein Eingriff von außen, ein Angriff, eine Verletzung meiner Sphäre mit einem scharfen Gegenstand, unter sterilen Bedingungen. Dann doch lieber selbst zustechen, wenn nötig auch ohne beruhigende Hand auf dem Rücken.
(aus '183 Tage')
Ich habe mit dir geflirtet, du hast es nicht bemerkt. Ich bin neben dir gesessen, in einer Nacht im Oktober. Ich habe meinen Kopf schief gehalten, hin zu dir, nur ein bisschen mehr hin zu dir. Ich habe diese Töne gemacht, beim Atmen, die so sind, wie das Schnurren einer Katze, aber als Menschenton, nicht rollend brummend, nur ein Ausatmen mit Wohlbehagen, sehr leise. Und als mein Bein dein Bein berührt hat, so von der Seite, Oberschenkel an Oberschenkel, da habe ich nicht weggezuckt, hast du das bemerkt? Und dein Bein wurde ganz warm an meinem, das passiert bei einer Berührung, das ist normal, wenn es ganz warm wird, das ist Nähe. Und dann war mein Oberarm an deiner Seite, kurz nur, gerade lang genug, um das schmale Zwischen aufzuwärmen, so warm wurde es, in einem ohnehin schon sehr warmen Raum, richtig heiß sogar, sodass man es nicht lange so ausgehalten hat, sich entzweien musste. Und ich wusste die ganze Zeit über nicht, was mit meinen Haaren tun, gezupft habe ich an ihnen, sie hinters Ohr gestrichen und wieder zurück an die Wange fallen gelassen, und wieder hinter das Ohr gestrichen und Stränen gedreht. Das ist auch Flirten, hab ich mal wo gelesen, dass man nicht weiß, was man mit den verdammten Haaren machen soll, irgendwie Signale aussenden. Ich habe mit dir geflirtet, ich bin neben dir gesessen, damals, in jenem ungewöhnlich warmen Oktober, du hast es nicht bemerkt, nicht wahr?
zwanzig. Der Schachtelschlaf.
Schachtel 1. Du schaltest den Fernseher ein, drehst den Ton leise, dimmst das Licht, legst dich ins Bett, hast einen Pullover an, trinkst einen Energydrink, schläfst ein.
Wachst zwei Stunden später auf, Schachtel 2, drehst das Licht ab, schaltest den Ton des Fernsehers auf minimal hörbar, drehst dich mit dem Gesicht zum Flackern des Bildschirms, schläfst ein.
Wachst Schachtel 3 zwei Stunden später auf, schaltest den Fernseher aus, schläfst ein.
Schachtel 4 wachst irgendwann auf, gehst aufs Klo, ziehst den Pullover aus, schläfst ein Schachtel 4.
neunzehn. Sturm.
Nein, nein, nein, nein, nein, nein, nein, nein. Sturm kommt auf.
Ich darf nicht an Regenschirme denken.
Ich denke an Regenschirme, an ausgehöhlte Elefanten, an Blattschneideameisen.
Ich bin kein Kirschbaum, baby.
achtzehn. auftrennen.
Ein Teich, begrenzt von Ufer, darin: Fische, Froschlaich, Wasserpflanzen. Darüber: im Winter - Eis, im Sommer - Luft und Libellen.
Lass uns gehen daran, und einen der Fische herausholen, hast du nicht Hunger? Du krempelst deine Hemdärmel hoch, weißt du, wie sehr ich das an dir liebe, das Hemdärmel aufkrempeln? Krempelst die Hemdärmel hoch, ohne Hast, legst deine stark behaarten Unterarme frei, und die Ellenbögen, und die Armbeugen. Da möchte ich sofort mit dir schlafen, so sehr liebe ich das an dir. Möchte, dass du hineinfasst in mich, mit diesen Armen, tief hinein, bis zu den Ellenbögen. Wie du den Fisch aus dem Teich holst, so holtest du etwas aus mir, etwas, das zappelt und sich windet, das außerhalb meiner Grenze nicht überleben kann.
Du kniest am Ufer, du fasst in das Wasser, suchst den Fisch darin, findest ihn, ziehst ihn mit einem Ruck heraus, legst ihn zum Trocknen auf das Ufergras. Ich schärfe unterdes mein Messer. Ich stelle mir vor, wie du das an mir liebst, mir dabei zuzusehen, wie ich das Messer schärfe, das Geräusch, das es macht, und das Geräusch, wenn ich mit dem blitzscharfen Messer den Bauch des Fisches auftrenne, da hältst du deinen Kopf ganz nah dran, um das Geräusch zu hören. Wie ich mit der nackten Hand in den blutigen Bauch des Fisches fasse, um ihn auszuweiden, siehst du nicht gern. 'Noch warm', sage ich, um dich zu reizen, dabei stimmt das gar nicht. Ich werfe die Eingeweide in den Teich, wasche mir darin die Hände, will dich küssen, du lässt es zu. Ich berühre deine Hände, deine Unterarme, berühre das Ufergras, berühre den kalten Fischkörper, berühre die kalte Messerklinge, berühre die kalte Luft. Wir knien am Ufer, sind weder Eis, noch Libelle, werden nach Hause gehen, durch die Luft gehen, sind beide schon sehr hungrig.
Das Geräusch des Messers, wenn es einen weißen Bauch auftrennt, das magst du am liebsten.
siebzehn. Die Worte sind geschlossen.
Lass die Worte stehen, wie deine Kleidung. Du, darunter, kannst dich verziehen, kannst dich einigeln, kannst dich zusammenrollen, kannst schrumpfen, vertrocknen oder verdampfen, die Hülle bleibt unbeeindruckt stehen. Alles wahrt den Schein, als wäre es für die Ewigkeit an die Vergangenheit gebunden. An damals, als man noch wusste: diese und jede Bewegung bedeutet, dass. Und irgendwann eingefroren, im letzten Winter wohl, als die Tage so klirrend kalt waren, wie sie nun brennend heiß sind. Seitdem – keine Bewegung. Die Hülle, der Stoff, das Material, die Substanz, das Gehäuse, die Tore, der Vorhof, der Gartenzaun. Die Luft um deine reglose Gestalt flirrt. Die Worte sind geschlossen.
sechszehn. ahnst du.
ich werf dich aus,
du gehst spazieren.
kommst zurück
um vier uhr nachts,
schlägst dein zelt neben meinem bett auf.
ich habe mich zusammengebaut, da warst du draußen, schlaf jetzt.
und wirst wieder nur über das laken zerstreute stücke finden,
kein morgen bringt uns vorwärts.
nichts ahnst du.
Essen, aus Angst, nicht zu essen.
Schlafen, aus Angst, einzuschlafen.
Wollen, aus Angst, zu verwurzeln.
Essen, aus Angst, nie wieder zu essen.
Wollen, aus Angst, nie wieder zu wollen.
Lieben, aus Angst, zu verwurzeln.
Schreiben, aus Angst, nichts zu wollen.
Warum, aus Angst vor keinem Warum mehr.
Denken, aus Angst, nicht
Licht, aus Angst, sich zu zersetzen.
Angst, aus Angst,
Schreiben, Angst, Wollen, Vegetation.
Angst, schreiben, essen, vegetieren.
Schlafen, aufstehen, pissen, trinken, schlafen,
aus Angst, zu wollen zu lie
nichts zu wollen.
Angst.
Angst Angst Angst Angst
Angst Angst Angst Angst
verrate mir eines: was
und: ich sage dir: denken, aus Angst, sich zu zersetzen.
Angst, aus Angst, sich zu zersetzen.
Nichts wollen.
Nichts wollen, nichts wollen.
Lieben, schlafen, aufstehen, pissen, trinken,
essen, wollen, trinken, wollen, einschlafen.
vierzehn. Sibylle, Marietta, Laura, Harriet.
Ich weiß, wie es ist, wenn alles Unwichtige sich transformiert und wichtig wird. Wichtig, wichtig, wichtig, wichtig, nicht der kleinsten Geste bleibt die Bedeutsamkeit erspart.
Waldboden, Waldboden, Waldboden. Wir gehen auf ihm, der Tritt ist lautlos, wir gehen auf Moos und Moder, Moos und Moder, grün und grau und man möchte ihn streicheln, mit den Händen. Die Hände können nicht streicheln, die Hände sind beauftragt. Meine Hände tragen eine Kiste, das tun sie gewissenhaft und mit Konzentration, die Balance muss stimmen, der Inhalt darf sich in der Kiste nicht verdisbalanciert fühlen, darf sich nicht bewegen. Tot und still hat er zu sein, totenstill, tot und still.
Vor mir geht ein Mann. Seine Tritte sind lautlos wie meine, lautlos im Vergleich dazu, wie Schritte klingen würden, würde man über Kies laufen, oder über Glasscherben. Lautlosigkeit ist ein Mythos. Nicht einmal der Nebel ist gänzlich ohne Laut, selbst der Nebel reibt sich an Bäumen und knickt ab und an ein Ästchen um, nur um zu sehen, ob es schon genug feucht gemacht wurde, von ihm. Wir sind von Nebel umgeben. Er reibt sich ganz ein wenig an uns, während wir, durch den Wald, nun.
Auch der Mann trägt eine Kiste, sie sieht ganz ähnlich aus, wie jene, die ich trage, nur etwas größer, vielleicht etwas schwerer. Wie Kisten für hohe Stiefel sind sie, langgezogen, tief, und ich vermute: aus Holz, aus leichtem Holz, schlicht, von verschlissenem, burgunderrotem Lack überzogen. Keine Särge, es sind keine Särge, bloß Kisten für Stiefel, und auch wenn, dann nur kleine, oder, vielleicht war es bloßer Zufall, dass es diese Kisten sind, man hat sie bestimmt nicht gewissenhaft ausgesucht, für den Anlass. Sie waren bei der Hand. So fühlt es sich an. Wie eine Begebenheit. In keinem Augenblick bedrohlich.
Halbe Torsi sind in den Kisten, halbe Torsi der Frauen des Mannes, der vor mir geht, von Frauen, die er hatte, die er kannte, die er hatte, mit denen er verkehrt hatte, die er einst liebte, geliebt hatte, die mir vorausgingen. Die Köpfe sind abgetrennt, so auch die Arme und unterhalb des Zwerchfells ist auch nichts mehr. Die Lungen und die Herzen und die Schultern sind noch da, hinten die Schulterblätter, vorne die Schlüsselbeine, intakt. Die Schnitte sind nicht ganz glatt, da wurde gesägt, das sieht man, ich weiß nicht, welches Messer, ein grobgezahntes etwa, oder ein feingezahntes, sorgfältig durchsägt, keine Hast, furchtlos und respektvoll. An den Schnitten ist es dunkel, rot-dunkel, violett-braun, Schnittwunden eben, nicht mehr frisch. Und die Haut ist gräulich, bläulich, violetten, grün, alle Farben und ein wenig Erde, als hätten sie eine Weile darin gelegen, vielleicht von Laub und Moos bedeckt, vielleicht einige Wochen in einer Grube, wie man sie aushebt, um Winterkraut darin zu lagern. Sie riechen nach Moder und Grund und ein wenig nach Fleisch, aber mehr nach Pilz, verrottendem Laub, feuchtem Stein.
Körper. Die Brüste sind besonders schön. Es ist wild. In des Mannes Kiste sind zwei, in meiner Kiste zwei, sie liegen eng, und hätten sie Köpfe und würden sie heben, sie würden einander ansehen, so liegen sie da, eine der anderen zugewandt.
Wir gehen langsam, langsam und sagen kein Wort, schon seit vielen Stunden gehen wir, tragend gehen wir, andächtig, tragend, und es wird eine Hochzeit geben. Ich werde die fünfte Frau des Mannes, wir lieben einander. Wir gehen die halben Torsi der vier mir vorausgegangenen Frauen verbrennen. Es gibt ein Krematorium, mitten im Wald, das ist unser Ziel, und ein alter, bärtiger Einsiedler, ein wortkarger Waldschrat, ich bin der Herr des Feuers, so grüßt er und nimmt uns die Kisten aus den Händen, die Hände werden plötzlich schwerelos, eine muss die andere halten. Wir sprechen Gebete, oder Mantren, oder, etwas. Und ich erinnere mich: Ich frage nach den Namen der Frauen. Sibylle, Marietta, Laura, Harriet, sagt er, ohne auf die Kisten zu deuten. Gut. Gut, denke ich. Sibylle. Marietta. Laura. Harriet.
Es ist später Nachmittag, der Nebel ist den Berg hinaufgekrochen, die Luft ist fast schon golden, es duftet. Wir stehen vor dem Ofen, zu dritt stehen wir da und warten, ich weiß nicht mehr, wie lange, ich erinnere mich nicht. Eine Hand des Mannes hat meine Hand gefunden, ich weiß nicht mehr, wie. Hände halten, warten, nicht sprechen, und es dämmert schon, als ich einen Haarreifen aufsetze, mit einem weißen Stück Tüll dran, der Tüll steht versteift ab, ich sehe jung aus, in einem karierten Flanellhemd stehe ich da, so, wie ich es mir schon immer ausgemalt habe, wild. Und: der Wald, oder Las Vegas.
Der Krematoriumsmeister traut uns. Wir verbringen die Nacht in einer kleinen Kammer, neben seiner Hütte. Ein Bett steht darin, als war es schon immer dort gewesen, ein weiches Bett mit rosaroter Tagesdecke. Wie seltsam.
Lilien und Löwen, derer sieben
braun, hellbraun und beige, so
löwenfarben, dazwischen
violetter Teppichflor
aus Leberblümchen.
deine Blumen, deine Löwen,
bleibe ich bei dir,
zerrinnt es mir, so
verlasse ich den Hinterhof
mit vollen Händen,
fliehe, deine Tiere
fürchte ich im Nacken.
elf. wohin.
zehn. Rot.
Ein Stück Haut,
wie ein Blütenblatt einer Geranie.
neun. meine Amseln.
acht. Verlieben, hm?
Verlieben, hm? ich weiß nicht mehr, wie das ging. man erblickt jemanden und dann zischt und knackt es an den Innenseiten der Schläfen? und in den Ohren plötzlich undefinierbare Summtöne, man weiß nicht, ob sie von sich verändernden Temperaturen und Druckverhältnissen im Kopf verursacht werden, so wie in einem pfeifenden Teekessel, oder ob man aufgrund von beginnenden Eiweißzersetzungsprozessen in letzter Instanz eine Oper halluziniert? und dem Herzen, dem Herzen wird ganz klaustrophobisch zumute, im Brustkorb, und es versucht, sich wild um sich schlagend vorbei an Knochen und Sehnen aus dem Fleisch zu schälen? der gesamte Körper verwandelt sich in ein sinkendes Schiff und sämtliche Arten von Flüssigkeiten verlassen ihn, fliehenden Ratten gleich. Speichel, Tränen, Schweiß, Scheidensekret. der Blick wird glasig, fischlich glotzen die Augäpfel aus ihren behaarten Höhlen, die Lidschlagfrequenz erhöht sich, um lästige Insekten zu verscheuchen, die auf den süßen Geruch nahen Verderbens längst aufmerksam geworden sind. die Beine können sich nicht für eine Fluchtrichtung entscheiden, die Knie klappen zusammen, um ein peinliches in-der-Mitte-Auseinanderreißen und an-Ort-und-Stelle-Darbieten sämtlicher innerer Werte zu verhindern. aus dem Kehlkopf krächzt ein Vogel, den man einst als Kind mit großer Mühe dort hineingestopft hatte, bald wird auch er sich befreit haben. alles scheint aus einem zu strömen, die Arme gestikulieren verzweifelt kuriose Figuren, der Magen rebelliert, platzt er doch fast vor hunderten fetter Maden, die sich plötzlich schnellstens verpuppen wollen, alle auf einmal, ein Wunder der Natur. der Kehlkopfkrächzvogel wittert fette Beute und strampelt sich zum Kloß geknüllt nach unten, ein Schlacht- und Fressfest beginnt. hier ergreift das Herz seine Chance, macht einen Satz hoch und liegt einem sogleich auf der Zunge, daher das Sprichwort. ja nun, das kenne ich alles, und du sagst, dass das Verlieben ist, tatsächlich? und ob ich so etwas erneut über mich ergehen lassen möchte? nein, ich glaube, das möchte ich nicht.
Ich gehe nicht spazieren, ich gehe nie spazieren, ich gehe suchen, ich folge Spuren, ich bin eine pfotenlose Echse, die an Ecken und Kanten entlang sich windet, von Punkt A zu Punkt B ist es ein bestimmter Rhythmus an Ecken und Kanten, an Wendungen und Drehungen, es ist ein Code. Diese Stadt ist voller Spuren, die nie verwischen. Straßen, gewachsen, Äste, Verästelungen, bis in feinste Äderungen, Schritte, Zellen, Ziele. Ziele, Ziele, Ziele, überall Ziele, und ständig stolpere ich über einen Draht, über eine Naht, einen Faden, den ich einst selbst gespannt habe, von Punkt A nach Punkt B. Hallo, Punkt A, das bin ich. Punkt B, das sind
die, deren Namen ihre fragilsten Komponenten sind, alles andere an ihnen - ihr Geruch, das Geräusch, das sie machen, die Eigenheiten, die winzig kleinen Eigenheiten in ihren Gesten, ihre Temperatur und das, was sie an ihre Umgebung abstrahlen, all das ist ewig. Nie vergesse ich, ich vergesse nie. Ich brauche von jedem Teil nur ein winziges Bisschen, einen Bruchteil einer Sekunde eines Films, der ihr Leben ist, während sie noch am Leben sind, während sie mir nah sind. Nachdem ich mir alle Teilchen genommen und sie archiviert habe, können sie vergehen, können ihre Körper vergehen, ihre Töne verklingen, verloren sind sie nicht, solange ich da bin, und ich, ich werde doch ewig
gib mir einen Plan, gib mir eine Aufgabe, wenn du mich in die Stadt ziehst, gib mir eine Aufgabe, vielleicht, dich zu begleiten, etwas zu holen, etwas zu bringen, auf jemanden aufzupassen. Wenn ich keine Aufgabe habe und es mich in die Stadt zieht, dann kann das nur schlimm ausgehen. Du kannst dich dann verstecken und mich beobachten, wie ich mich aufführe, aber schön ist das nicht. Schön ist das nicht, zu beobachten, wie ich mich in eine pfotenlose Echse verwandle. Da trinke ich, trinke ich mehr, da wird mein Körper elastisch, dann kommt noch mehr Zug drauf. Irgendwann hoch, und gleich wieder runter, zu Boden, da habe ich die Spur meist schon längst gerochen.
Hier kannst du mich vielleicht noch aufhalten, wenn du gnädig bist, aber du kannst mir auch einfach folgen. Ich bezahle meinen Wein, schlüpfe in meinen Mantel, nehme meine Tasche und gehe los. Straßen, Straßen, als ginge ich spazieren, Nachtspaziergang, nichts deutet auf ein Ziel, vielleicht nach Hause. Ich zeige keine Eile, ich habe keine, da wartet niemand. Bleibe manchmal stehen, sehe mir das Detail einer Hausfassade an, streiche mit der Hand darüber, streiche über die Kante, wenn ich um die Ecke biege.
Ziele, Ziele, Ziele, ein Ziel. Ein Ziel, ein Ziel ohne Zeit, ohne Wurzeln ins Reale, hier und da tönt noch etwas, leuchtet etwas auf, eine durchsichtige Gestalt, die sich durch die Stadt windet. Bald schon lehnt sie in einem dunklen Hauseingang, lauscht, das Pochen, ist das
jemand, der an ein Ziel gelangt ist, das es nicht gibt.
jemand, den es nicht gibt, an einem Ort, dessen Bedeutung genauso körperlos verloren ist, wie die auf dem Boden kauernde Gestalt -
jemand, in verwirrter Verzweiflung bemüht, winzige Splitter zu einem Bild zu fassen, wieder, erneut, denn verloren ist nichts, und irgendwie funktioniert es immer noch, oder funkt immer noch, Geisterselbstreste,
was du mir gegeben hast, einst, das habe ich behalten. Die Spuren vergehen nicht, da werde zuvor noch ich selbst vergangen sein, gegangen, davonspaziert sein, mit funkelnden Splittern in den Manteltaschen. Gehen, um immer wieder zurückzukehren, immerzu die Spuren zu riechen, sie zu verfolgen, sie ziehen mich an Ziele. Punkt B, Punkt B, ich suche Punkt B, ankommen, ankommen.
fünf. Zwischen den Dingen / Spiegel
ich habe deinen Spiegel angesehen
mit meiner Hand auf
der glatten Oberfläche,
silbrig und kühl
habe ich
deinen Spiegel angesehen,
das Licht tanzte darauf,
und die Dinge darin
in Wasser getaucht.
deinen Spiegel
mit einer Hand auf dem Wasser
das Haar des Buben
lag unbewegt kühl
darunter, den Spiegel gesehen,
dich gesucht, und
zwischen den Dingen
unbemerkt
die Plätze getauscht
die warme Hand
auf dem griffigen Haar
des lachenden Buben.
dich gesucht.
das Licht auf den Dingen
auf der silbrigen Oberfläche
tanzt.
du hast mir ein Traumbild geschenkt
aus Lilien in orange und Leberblümchen
und sieben Löwen in einem Hinterhof.
die Lilien schnitt ich
pflückte sorgsam jedes Leberblümchen
bin vorsichtig aufgewacht,
habe alle Vasen gefüllt, die ich habe,
aber was machte ich mit den Löwen
ich musste sie zurücklassen
ich habe keine Möglichkeit
sie zu beherbergen.
warum mussten es ausgerechnet Löwen sein.
drei. Wildnis.
In einem Augenblick zwischen Party und den Verstand zu verlieren kannst du genauso gut einfach lautlos weggehen, ohne dich zu verabschieden und dich umbringen. Es erscheint einem Menschen mit großteils gutlebigem Gemüt selten so gut passend, eben gerade, weil dieses doch sehr stark ins gut gelebte Leben schneidende Ereignis genug Platz hätte, genug Leere rundrum, um stattfinden zu können.
Bist du wild genug? Wildnis eines Lebens muss unsichtbar, unbemerkt wachsen, gedeihen, sein, vorhanden sein, gut versteckt sein, weil ... es ist ein Dschungel. Es ist eine Tempelruine im tiefsten Dschungel der versteckten Wildnis deines normalen Lebens, und da lebt ein Wilder drin. Dein Wilder, der noch nie einen Menschen in Kleidung gesehen hat, der die Spuren der Tiere lesen kann, der herumgeht in der Nacht, weil seine Augen alles sehen, immer, die Augen einer Raubkatze.
Du könntest, wenn du das Gefühl hast, einfach bald den Verstand zu verlieren, weggehen, ohne dich zu verabschieden, ohne die Hände der Partygäste geschüttelt zu haben und farewell zu sagen, gehen, gehen, und es ist dann bestimmt Nacht draußen, und du hast Angst, bittere Angst, verloren zu gehen, zwischen Bordsteinen und Hausmauern. Und du gehst, und du wirst verlieren, und du gehst und du suchst dann vielleicht – und du findest vielleicht deinen Wilden. Der Wilde streift durch die Straßen, der Wilde geht, läuft, schleicht, tapst, tänzelt durch die Nacht, mit geschliffenen Krallen und Zähnen und ohne Kleidung. Der Wilde könnte dich finden, noch ehe du bereit bist, auf ihn zu treffen, aber was hast du zu verlieren, und ein Zurück gibt es nicht mehr. Ein Zurück gibt es nur dort, wo es einen Schlussstrich gegeben hatte, aber den hast du nicht gemacht, dich nicht verabschiedet. Du bist frei, noch hat niemand dein Fehlen bemerkt, noch bist du gleichzeitig dort und hier, bei den Anderen und hier, allein auf der Straße, frei, wirklich frei, vorhanden und nicht vorhanden, verloren und nicht verloren, eine Idee eines Lebens, ein Rest von etwas einst Einem.
Und wo ist dein Wilder? Bald siehst du ihn um jede Ecke kommen, in den dunklen Hauseingängen stehen, lauern, horchen auf deinen unsicheren Schritt. Bald wirst du den Verstand verlieren, und dann, was bleibt noch? Dann, bereit, sich zerfetzen zu lassen, oder einfach einschlafen auf dem Gehsteig, oder irgendwo runterspringen, auf einen Aufschlag zu oder in einen unwirklichen Schlund hinein. Und Angst, blanke Angst, sich plötzlich wieder mitten unter den Partygästen zu finden, und alles ist geblieben, wie es war, und du hattest dich gar nicht fortbewegt, bist gar nicht weg gewesen, hattest dich gar nicht an zwei Orten und unter dem Magnetismus zweier Befindlichkeiten gleichzeitig aufhalten können, und da ist der Verstand aber endlich und endgültig weg. Und du musst ihn nicht suchen gehen, er ist weg, an keinem Ort, du kannst dich jetzt höchstens noch umbringen, aber wie nun, ohne allem.
Im größten Unvermögen siehst, fühlst du dich gerettet und nicht zugleich, hast alle deine Kleider abgelegt.
zwei. hundert Worte für blau.
hellblau, himmelblau, meerblau, eisblau, petrol, türkis, cyan, ultramarin, nachtblau, dunkelblau, saphirblau, lapislazuli, turmalinblau, wasserblau, blaulicht, bläulich, verblaut, blaustichig, blaublütig, blaugetönt, blaufarben, ruhig, sanft, samtig, gesagt, entlassen, still, melancholisch, verheißend, verharrt, summend, salzig, stechend, lindernd, verwundert, versteckt, vergangen, fort, gesehen, tief, vertieft, vergessen, verrissen, vertäut, verstaut, entglitten, anstatt Gewalt anzuwenden, hätte ich dich hineinlassen sollen, singt Miley Cyrus. das mache ich, um mich abzulenken: trash tv, trash music, sich den Raum nehmen, auf dem man stolpern könnte, alles um sich herum enger schnüren, in Gips gießen, in Aspik, in Gelee, oh mit Gin, oh mit Blaubeeren, nein, nein, neinblau.
ich habe mich verzählt. nochmal von vorn.
Eine Mandarine, die nach außen wächst, gefüllt mit einer Mandarine, die nach innen wächst, das ist doch nicht normal. Vielleicht hätte ich sie nicht essen sollen. Vielleicht hat damit alles angefangen.
Gestern träumte ich von Blauauge. Er schickte mir ein Email. Im Betreff: 'hmm…' und im Anhang ein Foto, darauf liegt er auf seinem Bett. Es ist eine Vertikalaufnahme von oben, aus einer Kamera, die an der Decke über dem Bett befestigt sein müsste. Auf dem Bett liegen Decken, schön gemusterte Stoffe, reich, edel, mehrere übereinander. Eine in nachtblau mit ovalen Ornamenten, mit Rosen, die finde ich besonders schön. Er liegt darauf, gerade ausgestreckt, in Kleidung, aber das Hemd aufgeknöpft und da ist der Oberkörper frei, vertraute Haut, das Gesicht halb hinter Haaren versteckt, Handgelenk an Stirn. Er sieht hoch, in die Kamera. Das ungewöhnliche: Sein Körper ist dreckig, fast schwarz, mit Schlieren aus Schlamm überall und Ruß und Brocken an Erde dazwischen. Auch das Gesicht und die Hände, die Hände besonders. Und: Je länger ich das Foto betrachte, desto mehr sehe ich mich selbst in ihm. Da treten Rippen hervor, unter dem Dreck, die kenne ich, die sehen aus, wie meine. Und das Gesicht, meinem gar nicht unähnlich. Und die Pose, wie er daliegt, mit einem Arm hoch, abgewinkelt, Handgelenk an Stirn, Beine gekreuzt.
Dann sehe ich Text in der Mail: 'Triff mich morgen um neun am Abend, in meiner Wohnung, auf der Toilette.' Auf der Toilette. Was soll denn das bedeuten.