Bahía Salvador, Teil 31/31
Du stehst auf.
Deine Augen sind verhangen, dein Blick so leer. Lächelst du? Wieso hast du so schlechte Zähne?
Du streckst die Hand aus. Starrst mich an. Bist über mir, in hellem Licht.
Du klopfst mir auf die Schulter.
Ziehst den Lappen aus deiner Schürze. Wischst mir grob über die Wangen. Den Tränen hinterher.
Kein Rotzen. Kein Schnauben.
Du wendest dich von mir ab.
Und gehst.
Bahía Salvador, Teil 30/31
Ein knackendes Geräusch, ich wache auf. Liege auf einer Lichtung im Wald. Die Sonne brennt ein Fieber in mich rein und unter mir bewegt sich was. Geier, die am Leguan rupfen.
Dann kotzen.
Und am Strand nur ausgebrannte Fackeln, die Hütte versperrt.
Dann: Tage. Nächte.
Dann ohne jede Hoffnung und doch: die Zufahrtsstraße zum Dorf.
Das Schild, die Landjäger, dein Lächeln, mein Engel: Bitte nimm mich auf. Ich will arbeiten, Betten machen, kochen, putzen. Helfen. Das wär doch schön! Und in deinen Brüsten würde ich wirklich,
wirklich gerne sein – ruhig und ohne Erinnerung, und ohne Erinnerung an nichts.
Bahía Salvador, Teil 29/31
Am Strand unten. Inmitten der Leute. Die Musik quillt aus den Rohren, das Feuer bescheint die Nacht, ich selbst stehe drinnen im Feuer und alle um mich herum, und ich schreie, gebt mir eine
Bühne, immer wieder, doch von denen kein Wort. Gebt mir eine Bühne und rettet euch, schreie ich, starre aus dem Feuer in entgeisterte Augen und murmelnde Münder, die immer lauter
werden, und ich schreie, jetzt haltet doch alle eure Fresse endlich, und irgendwo unter ihnen ist auch Nathalie, ich höre ihren Mund meinen Namen rufen von weit weg und da lasse ich den
Leguan fallen, mein Gesicht, meine Hände, alles verschmiert und überall Blut ...
Und dann blicke ich mich um. Sie sind alle tot. Aber ich bin so lebendig!
Und ich rufe: Wusstet ihr, rufe ich, in Japan gibt’s spezielle Clubs, da kann man sich ein Tier aussuchen und ficken, bevor man es isst! Und ganz sicher geht das auch in Gießen und
Saarbrücken und dann kann man auch Leute dafür bezahlen, dass sie die Tiere ficken, bevor man sie isst! Oder man lässt sich ficken, oder bezahlt dafür, dass sie amputierte Körperteile an das Tier
verfüttern, das man später fickt, ja wusstet ihr das?!
Gelächter. Aber ich schreie dagegen an und you are that kind of perverts, sag ich euch und you’re all gonna die, sag ich, und dann das Messer, das werf ich in die Fratzen rein
und dann spring ich auf und pack den Leguan und renn davon, und da lacht ihr nicht mehr, da lacht ihr nicht mehr, aber Gundi lacht, ja, die grunzt und hält den runden Bauch umschlungen,
zuckt lustig, wie ein abgestochenes Schwein und quietscht und macht, ja Obacht, dass dir die Pfeife nicht aus dem Schnabel fällt, so lustig hast du’s! Was ist daran so komisch, frag ich,
und schleppe den Leguan davon.
Zerre ihn den Pfad hinauf, den mir keiner leuchtet jetzt. Mir schwinden die Kräfte.
Oben auf dem Plateau lege ich ihn nieder.
Dort muss er sein.
Und mich daneben.
Bahía Salvador, Teil 28/31
Hinter der Hütte lege ich den Leguan ab. Eine Furche zieht dort lang, von wo wir gekommen sind.
Ich schleiche mich nach vorne, alle sind längst am Ufer. Überall haben sie Fackeln aufgestellt. Der Strand lodert und die Musik läuft in Rohren unter dem Sand. Nathalies T-Shirt legt sich nass
über ihre Brüste. Sie tanzen um ein Feuer.
Unter dem Tresen finde ich ein kleines gekrümmtes Messer.
Dann:
Ich reiße eine der Fackeln aus der Erde.
Im Wald hinter der Hütte schnitze ich Bambusstöcke zurecht.
Im Wald hinter der Hütte spieße ich den Leguan darauf auf.
Im Wald hinter der Hütte brate ich den Leguan über der Fackel. Es funktioniert nicht besonders gut, fast gar nicht. Aber das ist alles Teil des Rituals – es muss genauso sein. Mit dem Messer
reiße ich dem Leguan die Seiten auf. Die Haut ist ledrig. Ich pule halbrohe Stückchen aus ihm raus. Sie schmecken nach Hähnchenschenkeln, aber zäh sind sie wie Tintenfischringe. Ich schlinge sie
in mich hinein, muss würgen, aber wenn ich den Kopf immer wieder leicht in den Nacken werfe, kann ich sie gut schlucken. Dann lege ich mich hin für eine Weile. Zu dir. Du wedelst mit der Hand,
wie du es immer tust, sagst iss, Bub, iss, und ich kann eigentlich nicht mehr, aber dir zuliebe knack ich noch mehr Landjäger.
Dann schießt die grelle Gewissheit ins Hirn. Reißt mich um. Ich springe auf, packe den Leguan und renne los. Ich weiß jetzt, wie es sein soll.
Bahía Salvador, Teil 27/31
Bahía Salvador, Teil 26/31
Ich stürze mich auf ihn. Lautlos. Der Leguan gibt ein fiependes Geräusch von sich, bauscht sich noch größer auf und versucht zu fliehen, aber als ich auf ihm lande, bringt alles
Zappeln und Beißen nichts – ich bin zu schwer und treffe seinen gehörnten Schädel sofort und präzis und immer wieder schlage ich mit dem Stein auf ihn ein ... Er zuckt noch unter mir, aus einer
kleinen Wunde an meinem Arm sickert Blut in den Matsch, wo ich sein Hirn zertrümmert habe. Und die Schemen meines Spiegelbilds in seinen sterbenden Augen verfliegen. Endlich.
Ich atme schwer. Schließe ich die Augen. Sehe dich mir gegenüber im Plastikstuhl sitzen. Du lächelst und deine Nähe fühlt sich gut an. Ich weiß, dass du auf mich wartest.
Dann öffne ich die Augen wieder. Es ist dunkel. Der Leguan und ich liegen eng umschlungen, Blut überall. Ein Gemetzel. Und ich bin der Sieger.
Und ich packe den Leguan an seinem Schwanz und ziehe ihn hinter mir her. Zwischen den Felsen scheint ein kleiner Pfad für mich auf. Die Palmen winken mir zu, Glühwürmchen lassen sich in meinem
Haar nieder. Und wenn ich den freien Arm ausstrecke, spüre ich die Welt.
Bahía Salvador, Teil 25/31
Der Teufel. Oder was. Natürlich denke ich gleich: der Teufel. Und da läuft mir ein Ekel durch den Nacken, ich zucke zusammen, das hässliche Biest, aber es regt sich nicht. Schaut nur von oben auf
mich herab mit seinen alten, wissenden Augen. Hebt ganz leicht den gepanzerten Schädel. Und wendet sich müde – von mir ab.
Es muss sein, denke ich.
Ja, verdammt, es muss eben sein, verstehst du? Ich kann ihn nicht einfach so dort liegen lassen mit seinem dicken, schwarzen Stachelschwanz und seinen Krallen und seinem hochmütigen, traurigen
Blick!
Also nähere ich mich vorsichtig. Dass er mir nicht in irgendeine Spalte entwischt. Da bläht sich der Leguan plötzlich furchtbar auf, hebt den schuppigen Körper vom Boden und züngelt mir entgegen.
Aber wir beide wissen, dass sein Blut nicht so heiß ist wie meins. Nein. Mein Herz schlägt ruhig, ich hab keine Angst, bin jetzt ganz hier. Sehe dem Leguan noch einmal in die Augen. Er weiß, dass
er einen Fehler gemacht hat. Er hätte sich früher auf seinen Baum verziehen sollen.
Fressen und gefressen werden.
Bahía Salvador, Teil 24/31
Ich drehe mich um. Kraxle weiter den Felsen rauf. Denn richtig weit oben will ich stehen und dann meinen Lümmel hineinhalten und die Luft soll fadenscheinig sein und meine Glut herabregnen auf
die da unten.
Also besteige ich einen letzten Brocken.
Und dort ist ein Plateau.
Und dort – in der hereinbrechenden Dunkelheit – sitzt er.
Endlich.
Bahía Salvador, Teil 23/31
Bahía Salvador, Teil 22/31
Und da fühl ich mich gut. So richtig, so rechtens und so beautiful die Wahrheit sprechen. Meine Gedanken scharf wie Gundis Mezcal. Jetzt bin ich bei mir und vor alledem: sagt
mal einer eine Meinung endlich, und ich spring von meiner Bühne runter, nehme dem blassen Buben den Joint aus der Flosse, greif noch schnell zwei Flaschen Bier – ein würdiger Abgang.
Und von wegen fuck off hier durch die Gegend schreien, das ist mir doch so was von – und genauso genüsslich, wie du jetzt an deinem Pfeifchen nuckelst, qualm ich mir einen, so ganz
entspannt, aber mal im Ernst: Ein Bisschen wahnsinnig bist du schon, du Liebezeit, du Kunigunde, wie du dich weghaust, hörst gar nicht zu!
Wissen Sie, so dankbar bin ich Ihnen, Sie sind die erste, mit der ich spreche seit Tagen, geben mir Essen und Trinken und menschliche – Ned schwääätza – verzähle, stößt sie
hervor, gewedelt mit der Hand, die ungeduldige Gundula, und ich hole tief Luft.
Und ich setze mich in die Felsen am Strand. Da bin ich sicher und stark. Da sehe ich Nathalie mit Leuten, unten am Ufer die verbliebenen Sonnenstrahlen genießen, die letzte große Einigkeit. Und
wiegen die Körper zum Klang der Musik und lehnen die Köpfe an Schultern. Und Nathalie so abseits mit einem, das lässt mich eher kalt, das ist der Bauchplatscher. Und ich plötzlich so klar – ja,
soll sie doch, ach, soll sie, ich werd‘s ihr schon noch zeigen! Da fliegt der Stummel mit dem Wind davon und das Bier in mich hinein, und dort oben kann ich pissen, tamtam.
Bahía Salvador, Teil 21/31
Und noch heftiger dran gezogen, die Kiffe kräftig inhaliert, kann dich nicht sehen, Gundi, aber ich weiß, du bist da, und ein paar Leute sitzen unten am Strand im Abendrot, oder ist es mein Hass,
der den Himmel färbt?
Was ein geiler Gedanke, also noch zwei, drei Schnäpse, der Joint kommt mit zu mir und ich zeig dir was und scheiß auf Schissi, gib mol wieder her – von wegen! Ich verzieh mich und
verächtlich schnauben die Leute, so ganz anders als du, mein Engel.
Aber jetzt geht’s los.
Jetzt kommt was.
Hinter der Hütte im Wald, da jag ich einen wütenden Durchfall zu Boden. Da ramm ich den Moctezuma fauchend ins Knie, da hab ich eine Niederkunft, da enthemm ich mich schnurstracks und jubiliere,
denn der Damm ist gebrochen, der Tod den Palästen, der Heiland geboren! Und ungezügelt reitet er mich in Sekunden zurecht und alles ist irgendwie weg, nur du, mein Hass, und die liebe
Gundi.
Die lacht, die wurschtelt und dröselt, dreht das Schild im Schaufenster um, ja, lachen Sie nur – die Leute lachen auch, aber bestimmt nicht wegen mir! Lehn dich zurück und hör zu, wie ich hinter
der Hütte wieder vorkomme und sie quatschen und tüddeln, und wenn ich dann so ein Gefasel hören muss, si pero, si pero und der Andere: Irene, Irene, tienes razón, como siempre,
dann will ich ihre Fressen anspringen, ihr Gehabe herunterreißen, es sonnengetrocknet auf dem Abort verticken, aber ich springe auf einen Hocker mit wackligen Beinen und schreie oder jaule und
I have seen God! und so weiter, dass sie alle sterben müssen und müssen und alle und Nathalie, Nathalie, Nathalie ruf ich ein paar Mal und lache und welche von denen auch, der Rest ist
Geglotze ...
Bahía Salvador, Teil 20/31
„Gundi!“, ruf ich, hau mir noch ne Wurst rein, kauen, kauen, kauen.
„Sie sind so großartig, echt! Dass wenigstens Sie keine Show draus machen!“ Wir stoßen an und es blitzt so in ihren Augen: „Weiter“ sagt Gundi, „weiter.“
„War ja alles inklusive, Gundi“, sag ich, „die Laune, die Tiere, Essen, Trinken, Atmen und auch der Mezcal - die Bahía, die Bar, das Strohdach – all inclusive, aber bei mir
hat’s nur falschrum gezündet. Ich nur damit beschäftigt, alles und alle scheiße zu finden. Heimlich, heimlich also immer wieder Mezcal reingetan – ja, Engelchen, schenken Sie uns doch
noch einen ein und Prost! Jawohl! Ich trinke viel und dann gerne auch mal Bier, und die andern lachen immer alle und sind Happy Family und Nathalie versteht mich nicht mehr, aber ich
merke schon, ist alles gut, und dann sind da die Schweizer, klar, die Schweizer, die sind immer lustig, gell, und hysterische Frauen und affenmäßige Männer kriechen in aus Ecken – na, jetzt
steigre dich mal nicht so rein, ein bisschen Spaß muss doch – also her mit der Tüte, her mit dem Mega-Ömmel, du Omma, warum bin ich so böse, so böse, so böse und enttäuscht – doch nicht wegen
mir?“
Nein, nein, ich muss nur schlucken, etwas trinken, der trockene Hals. Und die Alte verdreht die Dinge – ist die etwa eingepennt? Da! Jetzt späht sie aus dem Tante-Emma-Laden rüber, weiterreden
soll ich, weiterreden, meint sie, und ich noch zwei Würste runter, noch ein Schlückchen vom Mezcal. Und Gundi schenkt mir nach und genauso sich selbst und haut das Zeug hinunter und
zieht ein Pfeifchen hervor, da bröselt sie was rein und qualmt und schlotet und lässt sich in das Plastik fallen ... Na, dann also: Der Urs und der Uri reichen ihren Alltag weiter, ein
Riesenknaller, da bin richtig scharf drauf – na, das ist aber nett von dir, that’s so kind of you, und heruntergezogen damit und Nathalie ist weit weg von mir, weit,
weit.
Bahía Salvador, Teil 19/31
Sie schiebt mir den Wursthaufen rüber. Wedelt mit der Hand. Ich knapse eine ab. Und vertilge sie. Deftig. Und richtig hart, so hart, dass ich mir die Zähne daran ausbeiße.
Und dann – füllt sie die Gläser.
Randvoll.
Mezcal.
Wir stoßen an. Verschütten einiges. Kalter Schweiß bricht mir aus.
Etwas dreht sich. Es läuft mir über die Hand, ich schlecke es ab, ich huste.
Wieder. Kalter Schweiß bricht mir aus, denn das Ziehen hinter den Ohren.
Gundi schnaubt.
Ich schlecke es ab, ich huste, es läuft mir über die Hand. Und Gundi schnaubt. Verschiebt sich.
Und ich.
Bin wieder.
Da.
In der Bahía Salvador –
Hitze, ein Schlag.
Mein Schlachtgewicht.
Mein Schlaglicht: die Bucht, Tortuga Tours, die Bar am Strand, die Gutgelaunten, die Nathalies Bauchnabel, am Meer: unendlich -
Und endlich.
Mein Herz schlägt wieder im kaltblütigen Rhythmus -
Schlägt wieder. Im kaltblütigen Rhythmus –
Im kaltblütigen Rhythmus –
Was einmal ein Wal war, schießt durchs Universum und schlägt ein auf unserer Erde, batz! Und Bestien tanzen ums Feuer, tamtam.
Trommelwirbel und Wirbeltrommeln und mit großem Hurra der Mezcalito für die gringos, ja, kommt mal alle her und todos juntos und schaut, wie die Wanze tanzen kann! Das
ist keine Wanze, das ist ein Wurm - él le da el sabor! Ja so was und jetzt alle runter damit und fröhlich! Und fröhlich, sag ich! Und die guías machen toll und die Touris
solche Augen – incredible das Wässerchen und dazu kredenzen sie alle Meeresfrüchte und atún asado und ich könnt kotzen, so speiübel ist mir von der Bootsfahrt und den
Leuten. Aber eigentlich bin ich ganz klar, ganz klar.
Bahía Salvador, Teil 18/31
„Wie man im Ausland auf heimisches Essen abfährt“, sage ich. „Oder überhaupt: die Heimat. Wissen Sie, für das, was Ihre Vorfahren womöglich verbrochen haben, verurteile ich Sie nicht – aber
bitte, Sie dürfen mich auch nicht vorschnell verurteilen, gell!“
Ich zwinkere ihr zu. Aber Gundis Gesicht platzt vor Teilnahmslosigkeit. Grunzt nur ein Bisschen. Unglaublich. Was für ein Vieh. Das mit den Hedo-Schlampen fand sie irgendwie spannender.
„Ich war nicht verwirrt“, sage ich, „einfach nur sehr wütend. Von wegen, ich sei nicht ‚ich selbst‘ gewesen. Unsinn! Es musste wohl alles so kommen. Denken Sie an den Wal, Gundi. Erinnern Sie
sich daran, wie Nathalie und ich bei Ihnen aufgetaucht sind?“
Gundi drückt ihre Zigarette aus. Ich schiebe mir schnell die letzte Maultasche rein, paar Röstzwiebeln dazu. Noch etwas Cola.
„Und sagen Sie jetzt nicht, dass Ihnen da schon klar war, wie es mit uns ausgehen würde“, sage ich und räuspere mich: „Ja, also, eins wollte ich ihnen noch sagen: Es war sehr nett von Ihnen, dass
Sie die Speckwürfel aus den Bratkartoffeln rausgelassen haben an dem Abend. Extra für uns. Echt jetzt.“
Hat sie mit den Schultern gezuckt? Na, das wär doch mal was. Hallo, jemand zu Hause?
Nichts. Stattdessen stemmt sich Gundi umständlich und schwer atmend aus dem Stuhl, packt das Geschirr zusammen und wackelt zur Bar hoch. Schon kommt sie wieder, stellt eine Flasche und zwei
Gläser auf den Tisch. Jetzt aber! Wie sie sich Mühe gibt, chic dabei zu tun! Kein Röcheln, Rotzen, alles ganz fein. Und zum Höhepunkt zaubert sie eine lange, lange Würstchenkette aus ihrer
Schürze hervor. Ich frage nicht, schaue selbst in der Speisekarte nach: Landjäger.
Bahía Salvador, Teil 17/31
„Gundi“, sage ich, „ich könnt jetzt große Reden schwingen über die Tiere, die Natur und so. Hier ist eben alles viel ursprünglicher, steht uns irgendwie unmittelbarer gegenüber als anderswo. Auch
wenn Sie vielleicht gar nicht wissen, wie das ist: ‚anderswo‘“, ich hole tief Luft und puste sie wieder raus: „Ich bin ja jetzt auch so. Wie Sie. Kann nicht mehr zurück. Will ich auch gar nicht.
Und Nathalie - die sehe ich auch nie wieder.“
Ich schiebe mir ein paar Stücke von den saftigen Maultaschen und dann etwas Kartoffelsalat in den Mund. Eigentlich will ich Gundi nicht von Nathalie erzählen.
Aber was soll’s.
„Das letzte, was mir von ihr bleibt“, sage ich leise und dann immer lauter werdend, „ist das Bild, wie sie sich von diesem Jean-Baptiste oder Bruder Jakob ganz ungeniert befingern lässt zwischen
den anderen Lackaffen“ - und über ihnen der Mond und mein singender Hass – „diesen superrelaxten ‚Weltenbummlern‘ mit den Around The World Tickets in Papis vorgekoteten Hosentaschen und
ihren Hedo-Schlampen an der Hand!“
Da gluckst Gundi. Na, das gefällt ihr! Wieder zündet sie sich eine Zigarette an, wedelt mit der Hand und grinst – die Zähne, Gott, sind die hinüber. Gundi ist wie dieser Kartoffelsalat: fettig,
matschig und gelb. Und doch mit ein paar ziemlich knackigen sauren Gurken drin.
Bahía Salvador, Teil 16/31
Bahía Salvador, Teil 15/31
Gundi kommt. Hat sie sich umgezogen? Gekämmt? Hoppla – sie hat die Maultaschen dabei.
„Gundi, es ist das Paradies!“, rufe ich und hebe die Arme. Sie bleibt abrupt stehen, starrt mich an.
„Sind bestimmt deshalb hier hängengeblieben, ihre Vorfahren. Diesen Drang hatten wir Deutschen halt schon immer. Sich an fernen Küsten niederlassen und – äh –“
Sie haut den Teller auf den Tisch und glotzt ganz böse. Dann schiebt sie langsam eine Hand in die Schürzentasche, zögert kurz – und setzt sich in einen der Plastikstühle.
„Also“, sage ich verdattert, „genau! Setzen Sie sich doch!“
Sie verzieht keine Miene, lehnt sich zurück und zündet eine Kippe an. Dann wedelt sie auffordernd mit der freien Hand. Ich stopfe mir die erste Maultasche in den Mund und kaue, kaue, kaue,
schlucke sie herunter.
„Köstlich“, sage ich und Gundi grinst zufrieden und ich noch eine Maultasche hinterher. Sie ist schon ein bisschen steif, die Gute, aber ich glaube, wir würden uns eigentlich schon verstehen
...
„Ach Gundi, Sie haben’s wirklich gut“, sage ich und hebe die Arme wieder, „sehen Sie sich doch nur mal um!“
Ihrerseits nur Qualm, keine Reaktion. Aber, wenn ich mich umschaue, sehe ich Tausend Glühwürmchen glimmen in einem Avocado-Baum – und Hunde jaulen und jagen über gesprenkelten Sand und überall
ist Tod und Hass und Fortpflanzung in derselben Sekunde und:
„Wie sie plötzlich über uns hereingebrochen ist, die Dunkelheit! Faszinierend, nicht wahr?“ Ich haue auf den Tisch: „Menschenskind! Und Tag für Tag dasselbe Spiel und immer stößt der Pazifik auf
dasselbe Land und rauscht und – um die Lampions überall Nachtfalter und verpuffen, wenn sie dem Licht zu nahe kommen, krepieren am Boden oder Geckos kommen sie holen, die Genießer, schlingen sie
runter ...“
Ich starre sie an. „Irre!“, rufe ich, aber von ihr kein Wort. Dann flüstere ich: „Das Leben ...“, eine unbestimmte Handbewegung, „nicht wahr?“
Stille. Sie kapiert’s nicht. Kennt es nur so. Aber wie es scheint, hört sie mir gerne zu. Und vielleicht versteht sie es ja doch – nur eben irgendwie anders.
Bahía Salvador, Teil 14/31
I have seen God!, hab ich gerufen, und: He is a God of War and he told me you’re all gonna die tonight! Klar war ich in der Situation nicht besonders zugänglich. Aber ich hatte
nun mal Recht, verdammt, und man kann doch jemanden nicht einfach so zurücklassen, man muss doch ... Aber die sind halt von Anfang an eine eingeschworene Gemeinschaft gewesen. Schon beim
Schnorcheln war ich der einzige, der im Boot geblieben ist. Da hätte doch mal jemand bleiben und Kontakt zu mir aufnehmen können! Aber Nathalie war ganz wild darauf. Und auf den Felsen
klettern und runterspringen wollte sie natürlich auch, und da durften sie die Franzosen dann anpacken und der guía, weil: Püppi kann ja nicht auf sich selbst aufpassen oder was, und
gelacht haben sie - und gelacht und gestaunt und geklatscht haben sie, als der guía mit einem Salto da runtergesprungen ist und dann Nathalie hinterher, so unglaublich grazil, da wurde
noch lauter gerufen und: Wahnsinn, ist die mutig, obwohl kein Pimmel, Respekt Mädel und so – und kein einziges Mal hat sie zu mir hergeschaut. Aber was ich dann geklatscht und gelacht habe, als
die eine französische Matschbirne diesen üblen Bauchplatscher gelandet hat, ja, was hab ich da gelacht.
Bahía Salvador, Teil 13/31
Bahía Salvador, Teil 12/31
Ich schrecke auf. Gundis Gesicht direkt vor meinem, verrauchter Atem dringt zu mir durch. Sie hat meinen Arm gepackt, lockert den Griff aber gleich wieder. Sie grinst. Bewegt ihre Lippen. Etwas
Schorf rieselt.
„Sssschhh“, macht sie und streichelt sanft über meinen Arm. Ein Schauer durchläuft meinen Körper, ich schlucke – Gott, wie eklig! – schlucke trocken, winde mich als hielte sie mich noch fest und
schlucke immer wieder doch kein Wort kommt hervor ... Aber irgendwie – mag ich das auch. Beruhigend baumeln ihre großen Brüste vor mir. So nah und warm. Und säuerlich.
„Heh!“, bellt sie mich da an, es qualmt aus ihrer Nase.
„Wie – wie bitte?“
Sie verdreht die Augen, richtet sich auf, speit ins Gebüsch.
„Heh, was sei soll“, sagt sie und deutet auf die Speisekarte. Ich zögere, lasse Gundi nicht aus den Augen und tippe blind auf eines der Bildchen. Sie schielt auf meinen Finger und brummt und
nickt ganz knapp. Ich schaue auf meinen Finger, er zeigt auf vier Maultaschen mit Kartoffelsalat, Herrgottsbscheißerle steht darunter, especialidad alemana. Dann zeigt Gundi auf
das Glas.
„Austrinke!“, blafft sie, lässt den Arm hervorschnellen – und kneift mir heftig in die Wange. Ich zucke zusammen, sie lässt nicht los, drückt nur noch fester zu, bis es richtig schmerzt, und
endlich kapier ich und greife das Glas und trinke. Zögerlich. Schmeckt wie Cola ohne Kohlensäure ... Ob die Hexe da was reingemischt hat? Ich nehme noch zwei tiefe Schlucke, da ist Gundi schon
davon und ich reibe mir die Wange. So ein Biest. Wie die mich gezwickt hat. Krass! Aber geschrien hab ich nicht. Gibt auch keinen Grund. Hab auch echt schon genug herumkrakeelt in den letzten
Tagen, oh Mann, wie ich drauf war!
Bahía Salvador, Teil 11/31
Augen auf. Gundi. Unscharf. Sie stellt ein Glas mit einem dunkeln Getränk auf den Tisch. So fürsorglich. Die Gute. Sie räumt den Teller und die Bierflasche ab und will schon wieder wegstiefeln
auf haarigen, kräftigen Beinen, da sag ich „Gundi“, oder lalle es vielmehr, meine Zunge klebt irgendwo fest.
„Gundi - können Sie mir ...?“ – aber schon ist sie davon. Ich schließe wieder die Augen. Mein Magen rumort noch immer. Ich versuche ihn mit kreisenden Bewegungen zu beruhigen, aber er dröhnt in
meinen Ohren wie eine aufgeregte Schiffsschraube ... Ich hätte es einfach sagen sollen. Dass ich keinen Bock drauf hab, mit zwanzig Dumpfbacken in ein kleines Boot gezwängt irgendwohin zu fahren.
Dass ich kein Bock auf Tourikacke hab, auf Tortuga Tours oder whale watching oder was, als hätten wir nicht schon genug von denen gehabt. Aber ich konnte es ihr nicht
abschlagen. Und dann haben mich die Delphine ja auch ziemlich gerührt ... Nicht so nach dem Motto: Ach, Liebes, ich sage dir, die waren ja sooo schön und sooo anmutig – würde ja jeder
sagen hinterher. Die Viecher haben mir echt die Tränen in die Augen getrieben. Es ging zu Ende mit uns, dachte ich, und sie war ein schöner Delphin, der mit anderen schönen, zum Lächeln
verdammten Delphinen im Meer umhertollte und ich war - was anderes ... Und dann ging es los. Mit der Wut. Und als der eine guía der Riesenschildkröte hinterher ist und wie er sie an die
Wasseroberfläche gezerrt hat, furchtbar gestrampelt und gebissen hat sie. Aber keine Chance. Wie dumm sie ausgesehen hat mit ihrem Tante-Emma-Blick und dem stumm fauchenden, strengen Maul. Am
liebsten hätte ich dem Dreckskerl die Zottelhaare vom Kopf gerissen. Aber alle andern so begeistert. Wem es unangenehm war, hat trotzdem tapfer die Kamera draufgehalten. Und dann durfte das Tier
ja auch wieder abtauchen, mein Gott, wie sie da alle geklatscht haben. Heuchler allesamt. Da war’s mir schon zu viel.
Bahía Salvador, Teil 10/31
Gundi könnte jetzt auch mal wieder langsam – die Kutteln kutteln ganz schön in meinem Magen ... Zum Glück haben wir dann das Zimmer mit dem Ventilator und den Geckos an der Decke gefunden. Da
waren wir zufrieden. Und wie wir es geil getrieben haben! Ordentlich vollgeschwitzt hab ich sie. Und dann einfach daliegen, dem Surren dieses göttlichen Ventilators lauschen – das war schon gut.
Fanta-Werbung. Sollte immer so sein. Und später die Perlen auf ihrem Körper. Sanfter Wellengang. Und kein bisschen Walschmodder im Wasser, nur ab und an ein Straßenhund, Klumpen davon im Maul.
Sie hat so viel gelacht. Mich wegen meines Sonnenbrands aufgezogen. Wir waren fast die einzigen gringos und die hola-amigos haben gar nicht gestört, nur amüsiert, und eben das
übliche Rammstein-, Currywurst- und íttler-íttler-Gefasel – ja, da schnellen die Daumen in die Luft, da wird breit gegrinst! Aber alles ganz nett ... Baden, dösen, Cocktails schlürfen,
schauen, was so vor sich geht. Ich dachte wirklich, es wär plötzlich alles aus der Welt. Seltsam. Und jetzt sitze ich hier bei meinem Engel und schlürfe Kutteln wie blöd ... Und vor ein paar
Stunden war ich mir noch sicher, dass ich gleich abnibbeln muss ... Was dann aber für Kräfte in einem stecken! Immerhin – ich hab mit einem Haufen Aasgeiern gekämpft, Flügel gebrochen, Köpfe
zertrümmert – und warum? Weil mir die Biester einen stinkenden Echsenkadaver wegnehmen wollten! ... Schon ein bisschen krank. Aber es war eben mein Kadaver, er hat mir gehört, ich hatte
ihn erlegt. Es war eine symbolische Sache ... Und dann Nächte auf Bäumen. Tage im Dickicht, ohne Essen. Und gesoffen hab ich aus Tümpeln, die vor lauter Fieber aussahen wie herrliche Lagunen.
Tausend schimmernde Medusen hab ich darin tanzen sehen und um mich herum alles Affengeschrei und Vögel ... Und trotzdem war ich immer auch so klar im Kopf. Wusste immer ganz genau, was zu tun
war.
Bahía Salvador, Teil 9/31
Langsam füllt sich mein Magen. Ist alles wie bei Omma hier ein wenig. Eigentlich bin ich bei ihr doch in guten Händen. Einfach entspannen. Bisschen nachdenken. Oder noch besser: vergessen
...
Haben die mich vielleicht nur vergessen? Im Urlaub verlaufen und ward niemals mehr gesehen – nein, nein, nix da, von wegen! Vorsätzlich zurückgelassen haben sie mich! Und Nathalie hängt
jetzt garantiert an irgendeiner haarigen Brust und ich sitze hier ohne Geld, ohne Pass - und ohne kacken zu können, verdammt nochmal, ist auch keine Überraschung bei tagelang nur tunas
und fünf cucarachas, wenn’s hochkommt, oder was – ja Scheiße, sind die flink ... In der ersten Unterkunft gab’s Massen davon. Und dann der bucklige dueño mit seinen ständigen
Zigarillos und die Nacht ein einziger Brei aus Hitze und Hundegebell. Und ‚unangenehmen Gefühlen‘: Lass doch mal die Hysterie-Nummer immer, hab ich gesagt und sie nur: Dummes
Arschloch und hat sich weggedreht. Und von wegen, sie kann so nicht schlafen, wenn ich ihr im Bett zu nahe komme. Von wegen Schweiß. Egal. Auf dem Betonboden war es eh angenehmer, kühl
immerhin.
Bahía Salvador, Teil 8/31
„Da“, schnauft Gundi, knallt mir einen Teller vor den Latz.
„Was zum Teufel?!“
Gundi wirft mir einen scheelen Blick und eine vergilbte, klebrige Speisekarte zu, dampft mit wehender Schürze ab. Auf einem der Fotos erkenne ich den Sud aus halbverdautem Hirnhack wieder:
Saure Kutteln steht darüber und darunter: especialidad alemana. Sonst nichts. Großartig. Gedärme. Nathalie hätte hier und jetzt über das Geländer gekotzt ... Zwei Jahre lang hab
ich wegen ihr kein Fleisch angerührt. Zwei Jahre. Und was hatte ich davon? Ist doch echt kein Wunder, dass ich auf der Tour dann gleich so krass abgedreht bin ... Kann man ja auch nicht
erwarten! Ist doch zu Hause schon ein Krampf. Aber hier! Ständiges pero, ¿por qué?, ¿por qué? und gaffen dich an wie Urmel aus dem Eis, denken tatsächlich, du bist irgendwie krank, aber
hey – wer ist hier krank? Ich sag nur: ‚José Soundso‘.
Also rein damit. Riecht ziemlich lümmelig. Und sieht genauso aus, wie ich mich gerade fühle. Aber besser als diese elendigen Bananen immer. Und Nathalie kann mich mal mit ihrem Vegetariermist.
Sie hat mich schließlich sitzen lassen.
Ich schlürfe einen Löffel von dem Zeug runter. Es ist heiß. Und schmeckt gruselig. Nach Fett, Brühe und nach dem, was Gundi vorm Schlafengehen zwischen den Zehen hervorpult. Macht mich garantiert
wieder nüchtern. Gut so. Wer weiß, was die alte Gundula noch mit mir vorhat. Ich muss laufen können, schnell laufen, falls sie mir doch noch was abknöpfen will.
Bahía Salvador, Teil 7/31
„Gundi!“
Wo die sich wieder rumtreibt. Ist halt eher von der einfachen Natur. Im Gegensatz dazu bin ich schon ein ziemliches Hirn-Tier. Schlimm, dass wir beide gerade an diesem Ort stranden mussten –
also: der Wal und ich. Und dass du nicht anders kannst, als innerlich vor dich hinzurotten und dann irgendwann zu explodieren – ob durch Vergärung oder Dynamitstange im Blasloch. Eben noch
kämpfst du in der Tiefsee draußen gegen Riesenkalmare, dickster Fisch im großen Teich, die Melone vollgepumpt bis obenhin mit Spermazeti: Er war einmal ein stolzes Tier. Und dann liegst
du da. Einsam. Zurückgelassen. Und – batz! – bist du weg.
Bahía Salvador, Teil 6/31
Bahía Salvador, Teil 5/31
Ich stelle mir vor, wie das mit dem Wal gelaufen ist: Oha! Ein Pottwal wird in unserem kleinen Paradies an Land geschwemmt – oder ist er gar vom Himmel gefallen? Da! Er lebt noch! Warum
lassen wir ihn nicht qualvoll ersticken und glotzen dabei alle einfach nur ein Bisschen dumm rum? Au jaa! ... Na. Aber was machen wir dann am Ende mit dem Fleischklops? Mit den popligen
Fischkuttermotoren kann man das Tier jedenfalls nicht wieder aufs Meer rausziehen. Hm. Ruf doch mal den José Soundso her! Nun denn. José Soundso fackelt nicht lang und fackelt den Wal
mit einer fetten Ladung Bürgerkriegsdynamit ab. Der Körper wird - batz! - zerfetzt und ein paar Dutzend Tonnen fliegen lustig durch die Lüfte - Knorpel, Walrat, Blubber, blutige
Innereien. Und klatscht dann gegen die Balustrade der Strandpromenade, regnet hernieder auf Häuser, Laster, Mofas - alles kurzerhand zertrümmert und nur aus Versehen kommt niemand zu Schaden.
Herrlich! Als wir angekommen sind war fast nichts mehr über. Alles längst in die lokalen Gefriertruhen verstaut. Und die paar Gedärme, was soll’s! Rumgeschlackert haben sie im Wasser wie müde
Aale und um den Rest kümmerten sich die zopilotes. Wie eine dahingemähte Milka-Kuh sah der Strand am Ende aus mit seinen zwei kleinen Molen. Befleckt und plattgewalzt. Wie ich jetzt ...
Aber dieser Korbstuhl! Ein echter Segen. Schmiegt sich an meinen geplagten Körper, knistert höflich durch die Nacht. Und Bier ist auch was Himmlisches! Ungewohnt dumpf und plötzlich steigt es mir
den Schädel hoch – logisch, so ausgehungert wie ich bin.
Bahía Salvador, Teil 4/31
In meinem Kopf ist alles Urwald und Geschrei. Da breche ich durchs Unterholz auf eine Lichtung, oder nachts zusammengerollt in einer Lehmkuhle, Blut und Kotze rundherum und fiebrige Angst hinter
den Ohren. Ein Rascheln im Gestrüpp und wie ich auffahre und schreie und weitertaumle –
Augen auf.
Jetzt bin ich ja hier. Alles gut. Die Alte wird sich kümmern. Oder: der azurne Himmel, die sanft geschwungene Strandbucht, die unterspülten Felsblöcke in der Brandung. So schön! Mango, Ananas und
Kokosnuss. Oder: Wo die freundlichen Engel in den Palmen wohnen und desnachts dem Fischer den Heimweg weisen.
Die hat auf jeden Fall Nerven. Ärmel hochgekrempelt, Kippe im Mundwinkel, fettendes, ungekämmtes Haar. Vollkommen verborstet. Gerade hier, wo alle Frauen die halbe Lebenszeit mit
Augenbrauenzupfen zubringen, macht die Alte einen auf Kröte. Schnaufend kommt sie heran, legt Löffel und Serviette auf den Tisch. Stemmt die Arme in den Speck ihrer Hüften: ein Koloss im
Abendrot.
„Gundi“, sage ich, „Sie heißen doch Gundi?“
Sie schürzt die Lippen, kneift etwas misstrauisch die Augen zusammen, hebt den Kopf.
„Also diesen Pottwal“, sage ich, „haben Sie den eigentlich gesehen?“
Sie scheint kurz zu überlegen. Dann grunzt sie, spuckt eine Fontäne in die Stauden hinter mir und zuckelt davon.
„Danke, ist nett von Ihnen“, rufe ich ihr nach. Und ich meine es so. Immerhin hat sie mir heute das Leben gerettet. Ohne das Bier wäre ich längst zusammengeklappt.
Bahía Salvador, Teil 3/31
Ja, vielleicht hätte ich denen mal zeigen sollen, was ein richtiger Kerl ist! Einer, der respektvoll mit Frauen umgeht nämlich, und einer mit maßvoller Selbstironie – ohne, dass er ständig seinen
Schlagring rausholen oder seinen dicken Schwengel auf die Schulter von einem legen muss, um sein Revier zu markieren ... Bin eben keiner von der Sorte. Und hab keinen Bock auf so einen
Gockelstall immer, nur damit Nathalie sich begehrt fühlen kann. Soll sie doch gehen, wenn sie auf das Begrabsche und Geschnalze steht an jeder Ecke und darauf, dass noch der letzte Taxifahrer der
Stadt sie bloß als irgend so eine Fickpuppe betrachtet und meint, er sei der Held, nur weil er einen behaarten Arm aus dem Autofenster baumeln lassen kann, und dann mit seinem hola-amigo ständig
die Leute abnervt – Nathalie, was fehlt dir denn bei mir, hab ich sie gefragt – und ausnahmslos fette alte Säcke mit Furunkeln im Gesicht – Ich will einfach nur tanzen, hat sie
behauptet und gelächelt sogar.
Ich nehme einen Schluck aus meiner Flasche. Grinse. Wie bescheuert das alles im Grunde war. Fünf Tage ist es erst her und fühlt sich an wie, keine Ahnung, und jetzt sitze ich wieder hier und
unter mir liegt dieses Dorf – schmuckes, schmuckes Fischerdorf und der Pazifik: Gebändigt zur ewigen Schönheit. Und: Sehen Sie nur, wie sie tanzen, wie sie immerzu tanzen, diese
Eingeborenen! Und auch die ganze Flora und Fauna – alles hier tanzt unentwegt!
Ich schließe die Augen.
Bahía Salvador, Teil 2/31
„Zum Wohle“, sagt die Alte dumpf, rammt die Flasche vor mir in den Tresen, doch da krabbelt es noch immer – die Kakerlake war zu flink. Ich stürzte das Bier in mich hinein, die Alte grunzt,
spuckt aus und wischt sich mit einem fleckigen Lappen den Schweiß aus der Stirn. Ich trinke viel zu schnell, verschlucke mich – aber das Bier tut gut.
„Tschuldigung“, murmle ich und zucke mit den Schultern: „Mir ist das Geld ausgegangen.“
Die Alte verzieht keine Miene. Schaut mich nur an. Und schiebt die nächste Flasche rüber. Als ich danach greife, nickt sie mir zu und wedelt mit der Hand in Richtung der Terrasse. Ich blicke mich
um. Es sind keine anderen Gäste zu sehen. Nur das übliche Abendrot, das Rauschen der Palmen im Wind, das Meer. Sogar hier oben ist es noch zu hören.
Kraftlos stoße ich mich vom Tresen ab. Schlurfe zu dem klapprigen Tisch in der Ecke. Ein Lampion funzelt an. Ich lasse mich in einen Korbsessel fallen. Es ist der einzige, ansonsten nur
schmierige weiße Plastikstühle. Die Alte glubscht hinter der Bar hervor mit so einem Blick – total wahnsinnig, aber irgendwie auf eine ... lüsterne Art. Ich frage mich, wie es wohl wär
mit so einer. Mit so einem schweißtreibenden, tonnenförmigen Körper. Ist auch noch gar nicht so richtig steinalt, denke ich, gut dick nur und gnadenlos verlebt. Und freut sich eben, dass
Nathalie heute nicht dabei ist. Kein Wunder. Bis dahin war doch alles in Ordnung gewesen – aber Nathalie musste sich natürlich beschweren: zu gammlig, zu fettig, wie immer nur Fleisch auf der
Karte. Dabei ist sie ja nur auf mich wütend gewesen. Die Kartoffel. Sonnenbrand im Nacken. Vielleicht hätte ich mich einfach breitschlagen lassen sollen.
Bahía Salvador, Teil 1/31
„Zum Wohle“, sagt die Alte dumpf, rammt die Flasche vor mir in den Tresen, doch da krabbelt es noch immer – die Kakerlake war zu flink.