Eine Woche später kommt Paul mit zwei Flaschen Kölsch in mein Zimmer. Ich sage, du trinkst doch gar kein Kölsch. Wir trinken das Bier und schauen uns auf meinem MacBook eine Zusammenfassung der Fußball WM an. Zwanzig Minuten später sagt er: Willst du eigentlich den ganzen Abend über schmollen? Lene will mit zwei Freundinnen ins Prince Charles.
Drei Tage später liegt Anke neben mir auf dem Sofa und sagt, sie könne nicht länger in Berlin bleiben. Ihr Praktikum sei nächste Woche vorbei und ihr Freund komme aus New York zurück. Ich frage, welcher Freund. Sie sagt, der Franzose.
Mario Götze trifft und wir springen herum. Paul sagt, wir müssen auf die Straße und draußen ist Humpa Humpa. Menschen auf Bäumen, Menschen auf Ampeln. Ein hupendes Auto mit drei blonden Frauen und wir klopfen auf ihr Dach. Alle schreien „Deutschland, ole ole“. Jemand ruft „Mario“ und andere kreischen „Götze, Götze, Götze.“ Zwei Frauen tragen Jeans-Hotpants, Deutschland-Trikot und Deutschland-Socken bis zu den Knien. Ihre Wangen sind schwarz-rot-gold. Sie lächeln und schreien „Deutschland“. Aus dem dritten Stock schießt jemand eine Rakete in den Himmel. Hupende Autos, schreiende Menschen, die Straßenbahn hebt ab. Da hinten ist Anke. Sie ist berauscht und läuft auf mich zu. Peggy steht neben mir, trötet in ihre Tröte. Anke und ich umarmen uns. Anke jubelt und küsst mich. Peggy hört auf zu tröten und stößt Anke zur Seite. Anke stößt Peggy und sagt: Was willst du! Mach dich mal locker. Peggy sagt: Küss den nicht! Ich stehe daneben. Ein paar Minuten später sagt Peggy: Du dummes Arschloch. Glaubst du, dich liebt sonst noch wer?
Wo schauen wir das Finale, fragt Peggy und Paul sagt, bei uns in der WG. Ich denke an Anke und dass sie sicher das Finale sehen möchte. Peggy sagt, sie nehme sich frei. Später schreibe ich Anke eine SMS und frage, wo sie das Spiel gucken wird.
Es ist Samstagabend und Anke brät in meiner Wohnung Kartoffeln, als sie sagt, sie wolle ins Berghain. Ich sage: Darüber schreibt das ZEIT Magazin, da können wir nicht hingehen. Paul schlägt Peggys Café um die Ecke vor und ich trete ihm vors Schienbein. Warst du schon mal im Prince Charles, sage ich und weiß, dass Anke alles cool findet, was in Berlin stattfindet.
Peggy und ich stehen auf einer Holzbrücke in einem Park über einem Kanal an einem Teich. Sie schaut mich zum dritten Mal zu lange an und sagt ohne Vorwarnung: Ich glaube, ich verliebe mich ein wenig in dich. Ich sage: Das ist schön.
Man denkt immer, etwas verpasst zu haben, sagt Paul in unserer Küche und meint, er hätte nicht genug Zeit für die Abenteuer, die das Leben biete. Weltreise, Gangbang, einen Dreier mit zwei Schwestern, ein Buch schreiben, es sind die üblichen Männerwünsche, die er vorbringt.
Anke und ich liegen nackt im Bett, ihr linkes Bein schwingt sich über mein rechtes, auf meinem Bauch liegt mein MacBook. Ich klicke mich durch ihr Fotoalbum „Thailand 2013“ und frage, wer der Franzose auf den drei Fotos am Strand sei. Der war lustig, sagt Anke, drückt ihren Oberkörper stärker gegen mich und klickt auf meinen Newsfeed. Kennst du eigentlich das Hooked-Up-Spiel, fragt Anke und sagt, ich soll Peggys Freundesliste öffnen. Dann raten wir, mit welchen Facebook-Freunden sie bereits geschlafen hat und wie es zum Sex gekommen ist. Anke lacht, als ich erzähle, wie ich Peggy kennengelernt habe.
Peggy arbeitet neben dem Studium in einem kleinen Café, das nur zehn Minuten von meiner Wohnung entfernt ist. Peggy schreibt per SMS, ob ich nicht vorbeikommen möchte. Es seien kaum Gäste dort. Ich nehme mein MacBook und gehe zu ihr ins Café. Sie macht mir einen Cappuccino und erzählt von ihren Seminaren. Wir machen aus, dass wir nach ihrer Schicht zu mir gehen.
Anke macht Fotos für ihren Blog. Kannst du mal kurz, fragt Anke und ich fotografiere sie mit ihrem Essen. Mit dem Spruch „Happy in Berlin :)“ postet sie das Bild auf Instagram und auf Facebook. Ich like das Foto als Erster und sage: Meine Likes sind mit dir. Anke lächelt und fängt an zu essen. Später gehen wir auf ein Konzert der Band „Perfect Pussy“. Anke tanzt in der Menge. Ich stehe an der Bar und schreibe Peggy, dass ich es heute nicht mehr schaffe. Zwei Bier später gehen Anke und ich zu mir.
Peggy hat nur Prepaid und ist unregelmäßig online. Immer muss ich warten, wenn ich ihr eine Nachricht auf Facebook schicke. Wenn ich sie anrufe, geht sie in der Regel nicht ans Telefon und ruft mich Stunden später zurück. Was macht sie, wenn sie nicht erreichbar ist?
Anke schreibt über Facebook, dass sie in Berlin ein Praktikum machen wird und ob ich ihr bei der Wohnungssuche helfen könne. Ich schaue auf WG-Gesucht nach neuen Angeboten und teile auf Facebook ihr Gesuch. Eine Bekannte schreibt, sie hätte ein Zimmer frei. Zwei Tage später schreibt Anke, sie habe das Zimmer. Mit einem Herz versehen, steht dort „yippie! das müssen wir feiern, ich lad dich ein!“
Peggy heißt Peggy, weil ihre Eltern Ende der Achtziger gern Al Bundy gesehen haben und den Namen schön fanden. Ihre Mutter, sagt sie, habe sich wegen Peggy Bundy die Haare rot gefärbt. Ich stelle mir Peggy mit roten Haaren vor. Sie sagt, ich soll das bloß niemand erzählen.
Nachdem ich Paul erzählt habe, dass ich mich mit Peggy treffe, hat er gelacht und gefragt, ob ich sie über Tinder angeschrieben hätte. Dann sind wir zum Inder gegangen und er hat das Essen bezahlt.
Vor zwei Tagen habe ich Peggy geschrieben: „Ich habe eine Sehnenscheidenentzündung vom vielen Tippen :) so sehr mag ich dich!“ Peggy hat mit einem Herz und einem lachenden Smiley geantwortet. Sobald sie nicht mehr mit ihrer Mutter telefoniert, werde ich sie fragen, ob sie sich an die SMS erinnert.
Paul zeigt mir Lenes Tinder-Profil auf seinem iPhone.
Du solltest auch mehr bei Tinder schreiben, sagt er, früher fandest du Lene immer so scharf.
Ich kann auch so Frauen kennenlernen
Wer nicht ficken will, der hat schon, sagt Paul und schickt Lene ein Herz.
Paul bringt oft Frauen mit in die WG. Ob er sie über Tinder, in einem Club oder beim Sport kennenlernt, variiert in unregelmäßiger Folge. Meistens verzieht sich Paul aus der Wohnung, wenn die Frauen nach dem Sex ins Badezimmer gehen. Danach sitzen sie ratlos in der Küche oder gehen durch die Wohnung und rufen nach ihm. An einem Nachmittag sitzt Peggy bei uns in der Küche, als ich gerade vom Joggen zurückkomme.
Hallo, ich bin Peggy. Weißt du, wo Paul ist?
Ne, wie bist du denn reingekommen?
Paul meinte, er kommt gleich wieder. Er müsse kurz zum Kiosk. Das war vor zwei Stunden. Ich wollte jetzt nicht einfach so gehen.
Es ist immer die gleiche Geschichte und wie immer versuche ich Paul dann anzurufen und wie immer nimmt er nicht ab und schreibt stattdessen eine SMS und bietet mir ein Essen beim Inder an, wenn ich sie los werde.
Er geht leider nicht dran.
Ich habe Kaffee gemacht. Willst du auch einen?
Du hast was? Danke!
Peggy beginnt zu erzählen und auf einmal will ich nicht, dass sie geht. Zwei Stunden später schreibt Paul „ist sie immer noch da?“ und ich antworte „das nächste Essen beim Inder geht auf mich.“
Seit vier Wochen habe ich Tinder auf dem iPhone. Mein Mitbewohner Paul hat mir die App empfohlen. Paul benutzt Tinder schon eine ganze Weile. Das Wichtigste, sagt er, sind kurze, aber gleichermaßen herausfordernde Nachrichten. Dein Gegenüber will erobert werden, aber auch selbst erobern. Am besten startet man mit einem Kommentar zu ihren Fotos, sagt Paul und liest seine letzten Nachrichten vor. Ich sage: Das „sehr“ vor „gut“, das kannst du streichen.
In der S-Bahn sagt Peggy, sie schaue gern feministische Pornos. Anschließend haben wir uns „Handcuffs“ angesehen. Ich habe gedacht, ich müsste die Szenen nachficken, aber Peggy hat mir bloß einen runtergeholt. Am nächsten Nachmittag hat sie über Facebook den Link zu einem weiteren Porno geschickt. Ich schreibe, dass ich in der Bibliothek sitze und sie antwortet „Recherche :)“
„Ich hab dich zuletzt bei Tinder gesehen“, sagt Lene, als ich sie in der Galerie 13 begrüße. Wir umarmen uns. „Das ist Peggy“, sage ich und Lene sagt ihren Namen. „Schön, dass ihr hier seid.“ Lene jobbt in der Galerie und schenkt Sekt aus. „Ich hol mal Nachschub.“ Peggy und ich stehen vor einem Bild. „Was hat sie gesagt“, will Peggy wissen und ich sage, „ach, sie meinte nur, wir hätten uns lange nicht gesehen.“
Peggy telefoniert mit ihrer Mutter in Dresden und ich sitze vor meinem MacBook. Auf Facebook schreibe ich Anke, dass Peggy sächselt. Sie schreibt, ich hätte ja nicht aus Köln wegziehen müssen. Dann schickt sie den Link zu einem Comic. Peggy kommt aus meinem Zimmer in die Küche und sagt „Tut mir leid“, bevor sie sich neben mich setzt. Ich zeige ihr das Event der Ausstellungseröffnung, die wir besuchen wollen und sage „schon 88 Teilnehmer“. Peggy streichelt meine Schulter und holt sich eine Mate aus dem Kühlschrank. „Vielleicht sollten wir früher hingehen, es gibt so ein Performance-Dings-Konzert.“